Blanquita – Murrí: Ein Plan für das Leben

Michaela Söllinger und Irmgard Ehrenberger besuchten Ende Juli während ihrer Kolumbienreise die Gebirgsregion Blanquita-Murí. Diese abgelegene Region ist mit dem Auto über eine Forststraße erreichbar. Kurze Zeit nach ihrem Besuch kam es zu Kämpfen zwischen bewaffneten Gruppen. Deshalb wurde ein zweiter Besuch beschlossen, diesmal reiste Michaela Söllinger mit Tom Power von FOR Peace Presence.

Blanquita – Murrí: Ein Plan für das Leben

Nach einer vierstündigen Jeepfahrt durch dichten Wald und über etliche Wasserfälle öffnete sich die Ebene von Blanquita-Murrí, Frontino, Antioquia, vor uns. Weites Dschungelgebiet und Weideland umgeben das Hauptdorf der Hochebene, das gleichzeitig ein Knotenpunkt für verschiedenste Gemeinden, die in diesem ländlichen Gebiet leben, ist.

La_Planquita_Karte

Die Gemeinde mit über 8500 Einwohner*innen setzt sich aus dreißig indigenen Gemeinden von Embera Eyábadas, die in sieben verschiedene Reservate aufgeteilt sind, sieben afrokolombianischen Gemeinden, die einen gemeinsamen Landtitel haben, und sieben Kleinbauerndörfern zusammen. Über siebzig ehemalige Guerillakämpfer*innen, die ihre Waffen nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der FARC-EP und der Regierung im Jahr 2016 niederlegten, kehrten mittlerweile auch nach Blanquita-Murrí zurück.

Gemeinsam mit Vertreter*innen des Sozialprojektes “De la Guerra a la Paz”[1] trafen wir uns in Blanquita-Murrí mit der interethnischen Koordination („Mesa Interetnica“), einer Initiative der Zivilbevölkerung, um ihre Gemeinde zu stärken und Frieden aufzubauen. Seit November 2018 treffen sie sich regelmäßig und in den letzten Monaten haben sie an einem Plan für das Leben („Plan de Vida“) gearbeitet. Als eine Form der Stärkung der Gemeinde enthält dieser Plan auch eine Erfassung der charakteristischen Daten der gesamten Bevölkerung und ihres Territoriums, die unter anderem zur Entwicklung von Infrastruktur und Bildungs- und Gesundheitsprojekten dienen soll. Das zeigt die Langzeitplanung, die als wahrhafter Aufbau von Frieden gesehen wird.

Aber am 8. August 2019 erschütterte ein grausamer Akt der Gewalt die Gemeinde. Drei Personen wurden in einem Streit über die Kontrolle des Gebietes zwischen bewaffneten Gruppen getötet. Einer der Ermordeten war ein sechzehnjähriger indigener Jugendlicher aus einem der umliegenden Dörfer, der zum Zeitpunkt des Unglücks zufällig in der Stadt war.

Als Antwort auf diese Attacke sagte der Regierungschef von Antioquia Luis Pérez: “Diese Gebiete sind voll von Kokapflanzen. Nachdem die ehemaligen Guerillakämpfer in die Region kamen, können nicht einmal die eigenen Bewohner dort leben. Es sind Gebiete, die von Verbrechern kontrolliert werden, deren Interessen kriminell  sind.” Er meinte weiterhin, dass sogar der designierte lokale Amtsträger der Ansicht sei, dass man “Blanquita, wo ehemalige Kämpfer sind, die offiziell die Waffen niedergelegt, als Wahlkandidat[2]  besser nicht besuchen sollte.”[3]  Diese Andeutungen sind im Speziellen für die ehemaligen Guerillakämpfer*innen und allgemein für die gesamte Zivilbevölkerung von Blanquita-Murrí sehr gefährlich.

Sie sind ist deshalb gefährlich, weil das Gebiet während des jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts in Kolumbien immer wieder von Gewalt betroffen war. 1996 wurde die gesamte Bevölkerung aus Blanquita-Murrí vertrieben und viele Bewohner*innen sind nicht mehr zurückgekehrt. Während der 1990er und 2000er litt die Bevölkerung unter Stigmatisierung, indem ihr nachgesagt wurde, dass sie illegalen bewaffneten Gruppen angehört hätte. Dies trieb wiederum den bewaffneten Konflikt und die Gewalt voran. Die Gemeinde möchte dies nicht noch einmal erleben.

La_Planquita

Trotz der Angst und Unruhe, die wir während unseres Besuches fühlten, sendete die interethnische Koordination einen offenen Brief mit folgenden Forderungen an den Regierungschef von Antioquia:

  1. Ein Ende der Stigmatisierung der verschiedenen Gruppen der Zivilbevölkerung von Blanquita-Murrí.
  2. Wahrhafte Anstrengungen für den Aufbau von Frieden in den Territorien (von Blanquita-Murrí) und eine entsprechende Implementierung des Friedensvertrages (mit der FARC-EP) von 2016.
  3. Respekt und Anerkennung gegenüber den verschiedenen Gruppen der Zivilbevölkerung der Region, die tagein tagaus versuchen, vereint und im Dialog Frieden aufzubauen.
  4. Die Rechte eines würdigen Lebens der Zivilbevölkerung von Blanquita-Murrí zu garantieren.

An unserem letzten Tag essen wir gemeinsam mit den Vertreter*innen von “De la Paz a la Guerra” lokale Würste (Chorizo) und Arepas, während die Bürger*innen auf ihrem Weg zur Arbeit bei uns vorbeischauen. Wir scherzen mit ihnen und gleichzeitig spüren wir die angespannte Ernsthaftigkeit der Herausforderungen, die auf die Einwohner*innen zukommen können. Die interethnische Koordination und der Plan für das Leben sind ein mutiger Versuch, ein soziales Netzwerk inmitten des Krieges aufzubauen und der Wiederholung der Geschichte von Stigmatisierung und Gewalt entgegenzuwirken.

Tom Power FOR Peace Presence und Michaela Soellinger FOR Austria

[1]  “Vom Krieg zum Frieden”

[2] In Kolumbien stehen Regionalwahlen bevor.

[3] https://caracol.com.co/emisora/2019/08/13/medellin/1565723529_253354.html