Aufrüstungspläne der EU und was die Zivilgesellschaft dagegen tun kann

Input von Irmgard Ehrenberger beim Friedensfrühstück von AbFaNG am 31. August 2025

Podium bei der Veranstaltung
Irmgard Ehrenberger (3. von links) bei der Veranstaltung

Das Sicherheitsdilemma

„Meine Rüstung ist die defensive, Deine Rüstung ist die offensive. Ich muss rüsten, weil du rüstest. Weil du rüstest, rüste ich. Also rüsten wir, rüsten wir nur immerzu.“ 

Diese Worte schrieb Bertha von Suttner vor mehr als 100 Jahren. Und sie hatte Recht: Die massive Überrüstung war ein Grund für den Ausbruch des 1. Weltkriegs.  Trotz der verheerenden Kriege im vergangenen 20. Jahrhundert sind die Worte aktueller denn je. Heute spricht man von einem Sicherheitsdilemma. Die Aufrüstung der einen Seite löst bei der anderen Seite Verunsicherung und damit Aufrüstung aus. Am Ende geben alle mehr Geld für eine vermeintliche Sicherheit aus, wobei sich niemand sicherer fühlt.

Dementsprechend wurde die Weltuntergangsuhr Anfang 2025 auf 89 Sekunden vor Mitternacht gestellt. So nah an Mitternacht sahen die Wissenschaftler*innen des Bulletin of Atomic Scientist die Zeiger noch nie an Mitternacht. Gründe: Gefahr eines Atomkrieges, Klimakatastrophe, Kriege im Nahen Osten, Bedrohungen durch KI, Desinformation.

So viele Kriege wie schon lang nicht

In Europa stehen vor allem die Kriege in der Ukraine und im Gaza im Mittelpunkt. Dabei zählte das Heidelberger Institut für Konfliktforschung im Jahr 2023 220 gewaltsam ausgetragene Konflikte, 22 Kriege und 21 eingeschränkte Kriege. Zum Vergleich: 2001 wurden 38 gewaltsam ausgetragene Konflikte gezählt, 12 davon als Kriege eingestuft.

Die Zunahme der Gewalt hat auch zu einer Verzehnfachung der Flüchtlingszahlen geführt: Lt. UNHCR betrug die Zahl der Flüchtlinge im Juni 2024 122 Millionen, im Jahr 2001 gab es weltweit 12 Millionen Geflüchtete.

Und die Spirale der Aufrüstung läuft weiter: Aus dem „Weißbuch zur Europäischen Verteidigung“, das im März dieses Jahres von der Europäischen Kommission vorgestellt wurde, ist klar die Sorge herauszulesen, dass sich die EU in der neuen Weltordnung, die sich herausbildet, nicht behaupten kann und über seine eigene Zukunft nicht mehr frei entscheiden kann. Neu ist der Trend zu Militarisierung und Aufrüstung nicht: „Europa muss die Sprache der Macht lernen“, so Ursula von der Leyen bereits 2019. Aber ein derartiges Aufrüstungsprogramm wie Readiness 2030 ist neu.

Einige Kommentator*innen meinten auch, dass die EU beim Treffen zwischen Putin und Trump am 15. August dieses Jahres in Alaska deswegen nicht vertreten war, weil sie militärisch zu schwach sei.

In einem Gastkommentar im Standard schreibt der ehemalige Außenminister Deutschlands Joschka Fischer: „Und Europa muss zur Macht werden, schnell und energisch, bevor es von Trump unter den Bus geworfen wird, und zwar in der ganzen Breite der Herausforderungen, die damit verbunden sind. Auch und gerade im Weltraum, bei den Geheimdiensten und dem gesamten digitalen Sektor – die „Zeitenwende“ verlangt sehr viel größere und weitergehende Anstrengungen als nur die europäische Aufrüstung mit konventioneller Hardware und Personal, so wichtig diese auch immer ist. Das ist die Botschaft von Anchorage für die Europäer.“ (Der Standard, 22. August 2025)

Für diese Aufrüstungsbestrebungen werden die Menschen in der EU einen hohen Preis bezahlen:

  • Zum einen muss das Aufrüstungsprogramm der EU „Readiness 2030“ oder „Rearm Europe“ in der Höhe von 800 Mrd. Euro bezahlt werden. Das Programm wird masive Einschnitte in Sozialleistungen, Klimaschutz, Entwicklungshilfe etc. nach sich ziehen. Die NATO-Staaten haben Rüstungsausgaben in der Höhe von 5% des Bruttoinlandsproduktes beschlossen. Und Österreich will sein Verteidigungsbudget auf 2% erhöhen, 2022 wurden Investitionen in der Höhe von von 17 Mrd. Euro für die nächsten 10 Jahre beschlossen (Aufbauplan 2032)
  • Zum anderen fehlt nur nicht das Geld für Klimainvestitionen, sondern die Aufrüstung wird massive Treibhausgasemissionen (150 Mill. Tonnen CO2e) verurschen. So viel wie Österreich, Finnland und Irland in einem Jahr ausstoßen.

Wir sind mit Vollgas Unterwegs in die Klimakatastrophe (UNO-Generalsekretär António Guterres): Die Erderwärmung bis zur Jahrhundertwende wird auf 2,8 Grad geschätzt. Mit dem Aufrüstungsprogramm setzen EU und NATO nochmals den Fuß aufs Gaspedal. So wie auch Russland und Israel. Die Kriege in Russland und Gaza werden bereits auch als Ökozid bezeichnet.

D. h., wenn wir jetzt nichts tun, werden die Lebenschancen zukünftiger Generationen aufs Spiel gesetzt.

Was Staaten, also Regierungen tun könnten, ist hinlänglich bekannt. Das betrifft sowohl die Beendigung der derzeitigen Kriege als auch das zukünftige Zusammenleben. Es gibt hinreichend Anleitungen, wie man einen Waffenstillstand verhandelt, es gibt die Diplomatie, Verhandlungsmöglichkeiten, vertrauensbildende Maßnahmen, das Aushandeln von Abrüstungsverträgen, Dialogforen, nuklearwaffenfreie Zonen…

Nur – die Regierungen tun es nicht. Die Zeichen stehen auf Konfrontation. Vieles spricht dafür, dass sich Machtblöcke verfestigen und Mauern wieder einzementiert werden.

Was wir als Zivilgesellschaft tun können:

  • Dranbleiben, Widerstand leisten, lästig sein. Gemeinsam wäre es wirkungsvoller. Es gibt die Methode der gewaltfreien Aktion. Vielleicht könnten die Friedensinteressierten sich mal zusammensetzen und eine Strategie entwickeln mit dem Ziel: Österreich wird nicht aufrüsten, die Rüstungsausgaben werden eingefroren.
  • Netzwerke auch international bilden: es gibt das Netzwerk „Stop rearm Europe“. Die neuen Technologien bieten gute Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Allerdings müsste diese Zusammenarbeit auch gelernt werden. Die Weltsozialforen könnten hier als Vorbild wirken.
  • Netzwerke mit Friedensaktivist*innen aus von Krieg betroffenen Ländern. Es gibt sie mit Israel/Palästina, Ukraine. Netzwerke mit Friedensaktivist*innen aus autoritären Staaten sind heikel (Gefährdung der Menschen). Auch dort hingehen und die Gewalt ist. Delegationen, Zivile Friedensdienste, Friedensmärsche
  • Auf die Länder des Südens hören und so zur Dekolonialisierung der Politik beitragen: Vorschläge propagieren.
  • Standhaft bleiben, sich nicht verunsichern lassen von Kriegspropaganda. Der Kriegspropaganda (z.B. „Russland will ganz Europa zerstören“) widersprechen.
  • Der Versicherheitlichung widerstehen: Frieden entsteht nicht durch Sicherheit, sondern Sicherheit entsteht durch Frieden (Heinz Gärtner).

Ich war vor einigen Monaten bei einer Propagandaveranstaltung für das EU-Aufrüstungsprogramm Readiness 2030 im Haus der Europäischen Union. Dort war öfters zu hören: „Wer den Frieden will, der rüste zum Krieg“. Das angeblich antike Sprichwort kann zwar niemandem zugeordnet werden, allerdings findet sich der Grundgedanke bereits bei Plato. Vielleicht war es aber auch ein Werbeslogan einer antiken Rüstungsschmiede?

Nach 2000 Jahren wurde ein weitaus besserer Gedanke in der UNESCO-Verfassung formuliert:

„Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.“

Wir müssen alles tun, damit dieser Gedanke nicht verloren geht.



Irmgard Ehrenberger