Das hartnäckige Verharren der vermeintlich überwundenen Herrschaft

Comunicado der Friedensgemeinde San José de Apartadó, 8. Jänner 2024

Wieder einmal erheben wir unsere Stimme in alle Ecken der Welt, um die Menschheit und die Geschichte auf die Tatsachen aufmerksam zu machen, die die Bevölkerung unseres geografischen und sozialen Umfelds und unsere Friedensgemeinschaft permanent bedrohen.

Ein weiteres Jahr hat begonnen, in dem wir gehofft haben, neue Wege des Lebens und des Friedens in unseren Gebieten zu finden, aber was wir erleben, ist das Gegenteil. Die Botschaft, die der Bevölkerung vermittelt wurde, ist die einer angeblich „überwundenen Herrschaft“, aber es ist dieselbe Herrschaft, die in den wenigen Tagen, die das Jahr 2024 bisher gedauert hat, weiterhin die Kontrolle ausübt, Regeln durchsetzt, die Gemeinden infiltriert, die Zivilbevölkerung gewaltsam versammelt, bedroht und tötet. Und die Regierung ist weiterhin blind und taub.

Die Fakten, die wir protokollieren, sind wie folgt:

● Am Samstag, dem 2. Dezember 2023, wurde tagsüber eine Gruppe von Paramilitärs in Tarnanzügen gesehen, die im Dorf Mulatos am Fluss entlang gingen.

● Am Sonntag, dem 3. Dezember 2023, wurde unsere Friedensgemeinde darüber informiert, dass u.a. in den Dörfern El Mariano, Buenos Aires und La Linda die Armee in der Nacht patrouillierte.  Wir wissen nicht wonach sie suchten, sicherlich nicht nach paramilitärischen Gruppen, da diese immer noch in aller Ruhe die Kontrolle ausüben, ohne dass jemand sie belästigt.

● Am Dienstag, den 5. Dezember 2023, bauten die Paramilitärs nach Angaben von Anwohner*innen in den Dörfern von San José de Apartadó Häuser für die territoriale Kontrolle. Eines dieser Häuser, das alle Vorbeikommenden sehen konnten, wird an dem als CHONTALITO bekannten Punkt gebaut.

● Am Freitag, den 8. Dezember 2023, wurde in den Nachmittagsstunden eine Gruppe von Paramilitärs in Tarnanzügen an dem als „La Cañada de Pulgarín“ bekannten Punkt im Dorf Mulatos gesehen.

● Am Dienstag, den 12. Dezember 2023, wurde unsere Friedensgemeinde tagsüber von Menschen, die gezwungen sind, mit Paramilitärs in der Gegend zu leben, über eine neue Entscheidung informiert, die sie gehört hatten. Diese Entscheidung besteht darin, zwei Mitglieder des Internen Rates unserer Gemeinschaft zu eliminieren, einer von ihnen ist unser legaler Vertreter und der andere ist der Koordinator unserer Siedlung im Dorf La Resbalosa. Es muss berücksichtigt werden, dass ein großer Teil des Gebiets von La Resbalosa zur Gemeinde Tierralta, Córdoba, gehört, einem Ort, an dem vor kurzem eine enge Abstimmung zwischen der Armee und den Paramilitärs bei gewalttätigen Übergriffen gegen bäuerliche Gemeinden aufgedeckt wurde. Diese Vorfälle wurden auf nationaler und internationaler Ebene bekannt, und die ländlichen Gemeinden des Departements Córdoba prangern diese Strategie des gemeinsamen Vorgehens weiterhin an.
Unsere Gemeinde kann auch den Angriff Ende Dezember 2017 nicht vergessen, als fünf bewaffnete Paramilitärs auf Motorrädern ankamen, um unseren legalen Vertreter GERMAN GRACIANO und JOSE ROVIRO LOPEZ und andere Mitgliedern des Internen Rates zu beseitigen, die beiden genannten erhalten derzeit schwere Morddrohungen. Zwei dieser Paramilitärs wurden von Mitgliedern unserer Gemeinschaft festgehalten und einem hohen Regierungsvertreter übergeben, während die anderen flohen und in den Weiler San José zurückkehrten, wo sie mit den Sicherheitskräften freundschaftlich zusammenlebten und weiterhin leben. Wir müssen uns daran erinnern, dass bei diesem Vorfall die Zusammenarbeit der öffentlichen Gewalt und des gesamten Justizapparats mit den Paramilitärs ganz offensichtlich war und dass die so genannte „Justiz“ den Fall bis heute nicht untersucht hat und die von der Gemeinschaft festgehaltenen Personen wenige Stunden später mit voller Handlungsfreiheit freiließ.

● Am Dienstag, den 12. Dezember 2023, erfuhren wir vom Tod des jungen Eimer Emilio Gómez David, der einige Tage zuvor verschwunden war und später mit Anzeichen von grausamer Folter tot aufgefunden wurde. Gómez David, der aus San José stammte, war Mitglied unserer Friedensgemeinde, ebenso wie seine Familie, die sich bereits vor einiger Zeit aus unserem Prozess zurückgezogen hatten. Unsere Friedensgemeinde verurteilt auf das Schärfste, dass solche brutalen und unmenschlichen Praktiken, die typisch für Völker ohne das elementarste menschliche Empfinden sind, in unserem Gebiet immer noch in Kraft sind. Wir sprechen ihren Familien unser tiefstes Beileid aus.

● Vom 18. bis 21. Dezember 2023 führte unsere Friedensgemeinde eine humanitäre Rundreise durch mehrere Dörfer von San José de Apartadó durch, darunter Mulatos und Resbalosa, und wies öffentlich die Morddrohungen gegen die Bewohner der Region und gegen Mitglieder unseres Internen Rates zurück. Während der Tour konnten wir uns von der starken Präsenz und der territorialen Kontrolle der Paramilitärs in der Region überzeugen, sowie von den verschiedenen Bauten paramilitärischen Häuser, wie z.B. dem Ort, der besser als CHONTALITO bekannt ist, wo die Paramilitärs seit 2018 ein Kontrollzentrum mit ständiger Präsenz haben, ebenso wie die Kontrollzentren im ehemaligen Anwesen von Emilio Chanci, Billete Verde, und das Herrenhaus im Dorf Mulatos, Kontrollzentrum neben der Schule von Resbalosa. Es ist schier unglaublich, dass die Paramilitärs mit ihrer zähen Hartnäckigkeit des angeblich überwundenen Regimes einen solchen Punkt der Unverfrorenheit erreicht haben, dass sie die Möglichkeit, als Zivilbevölkerung autonom zu überleben, im Keim erstickt haben.

● Am Freitag, den 22. Dezember 2023, tagsüber, erreichte unsere Gemeinschaft die Information, dass die Paramilitärs mehrere Frauen im Dorf La Union bedrohten, angeblich weil sie mit Mitgliedern der Entminungsbrigade 6, die sich im Dorf befand, befreundet waren.

● Am Donnerstag, den 4. Januar 2024, wurde unsere Friedensgemeinde von OVIDIO TORRES AREIZA und seiner Familie dringend um Schutz vor akuten Todesdrohungen durch die Paramilitärs gebeten. Unsere Gemeinschaft kann nicht vergessen, dass Ovidio, als er im Juni 2006 auf Probezeit in unsere Gemeinschaft kam, eine Vereinbarung mit der Armee und den Paramilitärs traf, um den Computer der Gemeinschaft zu stehlen, wie er es am 30. Juni 2006 auch tat, in Abstimmung mit den Paramilitärs OVIDIO CARDONA BORJA und ELKIN TUBERQUIA, um das Gerät an die Armee zu übergeben. Laut denselben Zeugen war die Armee „enttäuscht“, weil sie nichts fand, was für ihre Zwecke von Interesse war, die darin bestanden, irgendeine Art von Beziehung zur Guerilla zu entdecken. Obwohl Ovidio zugibt, mehrere Jahre lang ein militanter Paramilitär gewesen zu sein, behauptet er, sich zurückgezogen zu haben und sich trotz wiederholten Drucks geweigert zu haben, zu ihnen zurückzukehren, was seiner Meinung nach der Grund für das aktuelle Todesurteil sein könnte. Seiner Version zufolge war der Entschluss, ihn zu töten, unumstößlich, und die Paramilitärs verfolgten sogar seinen ältesten Sohn, hielten ihn fest und folterten ihn, damit er ihnen den Aufenthaltsort seines Vaters verrät, wobei sie auch das Leben seiner jüngeren Kinder in große Gefahr brachten. Unsere Gemeinschaft, die einem ihrer Grundprinzipien folgt, nämlich dem Schutz des Lebens eines jeden Menschen, auch wenn seine Ansichten zu unseren konträr sind, hat sich bereit erklärt, ihn zu schützen, bis er ein sicheres Gebiet erreicht hat, und wir baten humanitäre Einrichtungen um die notwendigen Mittel, um ihn aus dem gefährlichen Gebiet herauszuholen, was auch geschehen ist.

● Am Samstag, 6. Januar 2024, riefen in den Morgenstunden bekannte Paramilitärs – unter anderen alias Javier Resorte (Nelson Montoya), alias el viejo (Adolfo Guzmán) alias el negro oder William – die Bewohner*innen und Besucher*innen des Dorfes La Unión des Corregimiento de San José de Apartadó im Stadtzentrum zusammen. Dort zwangen sie alle Anwesenden, während der Versammlung ihre Handys abzugeben. Der Befehl der Paramilitärs lautete, dass sich alle der Junta de Acción anschließen müssten, was beweist, dass die Paramilitärs die Junta als Kontrollinstrument nutzen können und der Zivilbevölkerung vorschreiben, wie sie sich zu verhalten hat, da sonst jede/r die Konsequenzen zu tragen hat. In dieser Sitzung wurde versucht, Landkonflikte zu schlichten, indem verwirrende und widersprüchliche Anweisungen gegeben wurden, wobei die Befugnisse der Justiz übernommen wurden. Dieses Treffen fand statt, obwohl das Militär in dem Gebiet präsent war, was die inzwischen übliche Praxis der Verschleierung der Beziehungen zwischen Militär und Paramilitärs bestätigt.

● Am Montag, den 8. Januar 2024, kam eine Gruppe schwer bewaffneter Militärs sehr früh in die Stadt La Unión im Bezirk San José de Apartadó, um angeblich innerhalb der Zivilbevölkerung nach Informationen über die Paramilitärs zu suchen. Das Militär und die Polizei wissen, wo sich die Paramilitärs aufhalten, weil sie mit ihnen zusammenleben. So wird die Zivilbevölkerung in einen gewaltsamen Konflikt hineingezogen, an dem sie keinen Anteil hat. Unsere Friedensgemeinde verurteilt offen jede Aktion, die sich gegen das Leben oder die Unversehrtheit eines Menschen richtet, und die nationale Regierung trägt die Verantwortung für das, was den Mitgliedern unserer Gemeinschaft und den Bewohner*innen der Region widerfahren kann. Der Paramilitarismus bleibt frei und wird toleriert.

Als Friedensgemeinde bekräftigen wir unsere ethischen und moralischen Grundsätze, um inmitten des Todes weiterhin Räume des Lebens zu schaffen. Wir danken allen Menschen, die uns weiterhin mit ihrer moralischen Kraft aus verschiedenen Ecken der Welt unterstützen.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf Englisch und Spanisch unter
https://peacepresence.org/2024/01/10/recent-threats-in-the-peace-community-of-san-jose-de-apartado/