1997 beschlossen die Einwohner*innen des Verwaltungsgebietes von San José de Apartadó, Kolumbien, die von ihren kleinen verstreuten Bauernhöfen und Weilern vertrieben worden waren, sich zur Friedensgemeinde von San José de Apartadó zusammenzuschließen. Sie verpflichteten sich selbst mit keinem bewaffneten Akteur zu kollaborieren, keine Waffen zu tragen, jedes Unrecht öffentlich anzuklagen, keine Reparationszahlungen für Menschenrechtsvergehen anzunehmen und gemeinschaftlich das Land zu nutzen und zu pflegen. Dieser aktive gewaltfreie Widerstand (Resistencia) gegen Vertreibung und Unterdrückung, für gerechte Landverteilung und Selbstbestimmung kostete viele Menschenleben und das Gedenken (Memoria) an diese Menschen und das Unrecht, das ihnen widerfuhr, wird selbst wieder zum Teil des Widerstands.
So ging man auch 2019 am 23. März, um der Entstehung und den Opfern der Friedensgemeinde zu gedenken, von San Josecito in den Hauptort San José, der 2005 von der Friedensgemeinde verlassen werden musste. Damals flüchtete die Friedensgemeinde nach einem Massaker an acht Personen und der Errichtung einer Polizeistation inmitten ihres Hauptortes und baute einen Kilometer weiter ein Flüchtlingslager auf. Daraus wurde allmählich der heutige Hauptort der Friedensgemeinde, San Josecito.
Dieser Marsch ist im Jahr 2019 alles andere als ein Spaziergang. Die Friedensgemeinde klagt immer wieder öffentlich Verbrechen bewaffneter Gruppen im Gebiet von San José de Apartadó an. So fanden sie auch wenige Tage bevor sie nach San José gingen, um dort ihrem 22-jährigen Bestehen zu gedenken, auf ihrer Webseite klare Worte darüber, dass die Region von San José, zwei Jahre nach dem Friedensvertrag zwischen der Guerrillagruppe FARC-EP und der kolumbianischen Regierung, unter paramilitärischer Kontrolle steht. Die Friedensgemeinde führt dazu auch konkrete Beobachtungen an und berichtet in dieser Publikation von neu aufflammenden Kampfhandlungen in San José de Apartadó.
Da die Friedensgemeinde weder wegschaut noch kollaboriert, werden viele ihrer Mitglieder immer wieder bedroht und können sich nur noch mit Angst und unter Gefahr in den Dörfern bewegen. Diese Gefahr ist real. 2018 sind die Ermordungen von Menschenrechtsverteidiger*innen vor allem in Antioquia, dem Departement, dem San José angehört, besonders stark angestiegen.
Doch all das bringt die Friedensgemeinde nicht zum Schweigen. Sie veröffentlicht weiterhin ihre Berichte und hat erst vor kurzem in ihrer Gedenkstätte die Wahrheitskommission empfangen. Diese nationale Kommission wurde im Rahmen des oben genannten Friedensvertrags als Teil eines integralen Systems einer Übergangsjustiz – basierend auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, mit dem Ziel der Nicht-Wiederholung der Gewalttaten – eingesetzt. Vor der Kommission legten Mitglieder Zeugnisse von den Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen während des internen Konflikts ab (zur Nachlese).
Während man versucht die Vergangenheit aufzuarbeiten nehmen Kampfhandlungen und Bedrohungen wieder zu. Im Post-Friedensvertragspanorama spitzt sich einer der ursprünglichen Konfliktpunkte erneut zu. Es ist die Frage nach der Verteilung von Land und Ressourcen. Dies ist wohl auch ein wesentlicher Grund dafür, dass die Friedensgemeinde in San José de Apartadó ein Stein im Schuh vieler ist. In der Region von San José de Apartadó sind ca. 90% der Landtitel nicht im nationalen Kataster eingetragen. San José bietet nicht nur Zugang zur Karibik, sondern es gibt zumindest auch Öl- und Kohlevorkommen und fruchtbares Land. So wird mittlerweile auch mit einer Besitzklage versucht der Friedensgemeinde das Land wegzunehmen, auf dem sie bereits seit 20 Jahren Lebensmittel und Kakao für die Menschen in San Josecito anbauen. Ein ehemaliges Mitglied illegaler bewaffneter Gruppen, das auch Verbindung zum Militär hat, behauptet, dass die Friedensgemeinde 2005 dieses Landstück von der ehemaligen Guerillagruppe FARC-EP erhalten hätte. Schon 2005 behauptete der damalige kolumbianische Staatspräsident Alvaro Uribe, dass die Friedensgemeinde der Guerillagruppe FARC-EP nahestände, was ihre Mitglieder in extreme Gefahr brachte. Der spätere Präsident Manuel Santos musste diese Verleumdungen zurückziehen und sich bei der Friedensgemeinde entschuldigen. Dennoch wiederholen sich solche gefährlichen Aussagen gerade wieder.
Aller Voraussicht nach wird sich die Landfrage, die oft eine Frage des Überlebens in Kolumbien ist, weiter verschärfen. Erst im Februar dieses Jahres hat der aktuelle Präsident Duque neben einem Entwicklungsplan auch einen Sicherheitsplan für seine Amtszeit, also bis 2022, vorgestellt. Die wirtschaftliche Entwicklung wird einer Agenda folgen, die fast vollständig auf Ressourcenabbau und Export von Rohstoffen und landwirtschaftlichen Produkten setzt. Gleichzeitig wird im Sicherheitsbereich die Militarisierung vorangetrieben und das Tragen von Waffen für Privatpersonen erleichtert. Friedensgespräche mit illegalen bewaffneten Gruppen werden hingegen vorab ausgeschlossen. Diese Politik hat in Kolumbien schon in der Vergangenheit zu Massenvertreibungen und groben Menschenrechtsverletzungen geführt.
Zum 20. Geburtstag wurde die Friedensgemeinde von vielen gefragt, ob sie nach dem Friedensvertrag weiterhin Widerstand leisten, oder sich auflösen würde. Eine Antwort, die wir vom internen Rat hörten, war: „Wir werden weiterhin gewaltfrei versuchen gemeinschaftlich unser Land zu bestellen und hier zu leben.“ Zwei Jahre nach den Friedensverträgen versuchen ihre Mitglieder danach zu leben, inmitten der wieder ansteigenden Gewalt im Kampf um Ressourcen.