Gedenken ist … sich für die Zukunft engagieren.

18 Jahre nach dem Massaker in den Weilern von Mulatos und La Resbalosa in San José de Apartadó begleiten wir Mitglieder der Friedensgemeinde San José de Apartadó, nationale und internationale Gäste der Solidaritätsbewegung und Bekannte und Verwandte der Opfer des Massakers auf eine Protestgedenkreise.

Im Februar 2005, als die Bevölkerung von Mulatos schon wegen der Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Gruppen vertrieben worden war, wagte sich Luis Eduardo Guerra, Anführer der Friedensgemeinde, am 21. Februar noch vor dem Morgengrauen nach Mulatos, um trotz massiver Morddrohungen Kakao zu ernten, denn sein Sohn benötigte ärztliche Hilfe. Doch dazu kam es nie. Auf dem Weg wurden er, seine Lebensgefährtin Bellanira und sein 11-jähriger Sohn Deiner in Mulatos durch eine gezielte, gemeinsamen Aktion von Paramilitärs und dem staatlichen Militär getötet. Ein paar Stunden später, geht das Massaker weiter. In dem Nachbarweiler La Resbalosa werden auf grausamste Weise Alfonso, Sandra, Alejandro, die 5-jährige Natalia und der 21 Monate alte Santiago getötet. Das Flehen des Vaters, die Kinder leben zu lassen, wurde nicht erhört. „Sie sind eine Gefahr, wenn sie mal groß sind, könnten sie Guerillakämpfer werden“, meinte einer der Angreifer.

Sowohl die ausgerufene Staatspolitik “totaler Frieden” als auch die wirtschaftliche Krise rütteln zur Zeit ganz Kolumbien kräftig durch. In Urabá stehen Flucht, Rekrutierungen durch illegale bewaffnete Gruppen, unzureichender Zugang zu einem gesunden, nachhaltig nutzbaren Lebensraum für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, Drohungen durch Paramilitärs gegen die, die landwirtschaftliche Produkte zum Überleben und Ernähren ihrer Familien anbauen, nach wie vor an der Tagesordnung. Gleichzeitig werden erste landwirtschaftliche Nutzflächen, zumindest auf dem Papier, Opfern des internen Konflikts übergeben. Ob es sicher genug ist, dass die Familien diese Ländereien tatsächlich in Würde bebauen und pflegen können, wird sich zeigen.

Gerade deshalb begann die Friedensgemeinde von San José de Apartadó die Gedenkreise mit einem  Marsch zum Nachbarweiler Playa Larga, wo die ungerechte Landverteilung nur allzu sichtbar ist und von wo aus eine in Bau befindliche Straße nach La Esperanza führt. Der Weg auf dieser Straße ist beschwerlich, die Hitze unerträglich. Bäume, die diese Region bedeckten, sind kaum mehr zu finden. Kilometerweit nichts als Kuhweiden, die Kühe sind jedoch spärlich gesät. In La Esperanza, wo die Friedensgemeinde ein Stück Land mit dem Anbau von Reis, Mais, etwas Viehzucht für den Eigenverbrauch  und einem geschützten Waldgebiet bewirtschaftet, widersetzt sie sich seit Jahren diesem illegalen Straßenbau, auch weil diese Straße wohl ein Vorbote der Zerstörung der Serranía de Abibe ist. Dieser Hügelzug versorgt mehrere Bezirke mit Wasser. Gleichzeitig sind verschiedene  Bergbaulizenzen in der Region registriert.

Die Reichtümer der Serranía del Abibe sind die Lebensader Urabás, wir dürfen nicht zulassen, dass sie zerstört werden. Ohne Land gibt es kein Leben, deshalb pflegen und verteidigen wir die Hügelkette. Unser Land bedeutet Leben, Gerechtigkeit und Schutz. Als Kinder der Erde  kümmern wir uns um sie und verteidigen sie.“

Text des Plakats im Tweet

Der Protestmarsch führt die Gruppe nach Mulatos und La Resbalosa, wo am 21. Februar zur ungefähren Todeszeit den Opfern gedacht wird.  So findet früh morgens in Mulatos am Fundort eine Gedenkmesse für Bellanira, Luis Eduardo und Deiner statt, dabei wird auch ein neues Leben  willkommen geheißen und getauft.

Dann geht der Marsch weiter nach La Resbalosa.

Zur Mittagszeit wird Sandra, Natalia, Alfonso, Alexandro und Santiago gedacht.

Während wir am Fundort „Lasst die Kinder singen, lasst sie ihre Stimmen erheben, lasst sie die Welt zuhören… Lasst sie für diejenigen singen, die nicht singen wollen, weil sie ihre Stimme ausgelöscht haben“, singen, toben die Kleinsten fröhlich herum. Wir gedenken den Kindern, die damals wie heute, durch die ansteigende  Rekrutierung oder die permanente Verletzung ihrer Rechte durch die Präsenz bewaffneter Gruppen und fehlende Schutzmaßnahmen durch ziviles Engagement des Staates dem bewaffneten Konflikt zum Opfer fallen.

Dann wird – inmitten der wirtschaftlichen Krise und den Lebensmittelanbaurestriktionen der illegalen Gruppen – Selbstproduziertes der Friedensgemeinde gegessen. Lebensmittelanbau und Landpflege als aktiver Widerstand.  Wir genießen Reis, Bohnen und Fleisch, lokal in Arbeitsgruppen und Gemeinschaftsarbeit produziert. Dazu gibt es selbstgemachte Limonade mit Zuckerrohrsaft, der  ebenfalls an den gemeinschaftlichen Arbeitstagen regelmäßig produziert wird.

Wie stand auf dem Plakat?

Unser Land bedeutet Leben, Gerechtigkeit und Schutz. Als Kinder der Erde, kümmern wir uns um sie und verteidigen sie.“

Michaela Söllinger, März 2023