Nachrichten aus der Friedensgemeinde von San José de Apartadó

Wie gerne hätten wir in unserem ersten Blogbeitrag über Kolumbien des Jahres 2019 etwas Ermunterndes in Bezug auf die Friedensbemühungen in Kolumbien geschrieben. Die Realität sieht aber anders aus. In den ersten Tagen des neuen Jahres wurde fast täglich ein*e Menschenrechtsverteidiger*in Kolumbien getötet. Dies liegt leider ganz im Trend der Anstiege von Attentaten auf Menschenrechtsverteidiger*innen seit dem Friedensvertrag von 2016. Laut einer globalen Analyse der irischen Nichtregierungsorganisation Frontline Defenders wurden 2018 weltweit die meisten Menschenrechtsverteidiger*innen in Kolumbien ermordet.

Neujahrslicht in der Friedengemeinde von San José de Apartadó
Neujahrslicht in der Friedensgemeinde von San José de Apartadó

Unter denen, die sich trotzdem nicht zum Schweigen bringen lassen, ist die Friedensgemeinde San José de Apartadó, die uns immer wieder einen Einblick auf den Nährboden dieser erschreckenden Entwicklungen gibt. Zum Jahreswechsel  veröffentlichte die Friedensgemeinde ein Communiqué, in dem sie einmal mehr über die sich immer engmaschigere und weitreichendere Kontrolle von Paramilitärs und die dafür verwendeten Mechanismen berichtet. Nur Tage danach erreicht uns die Nachricht über den gewaltsamen Tod eines Bauern aus der Region San José de Apartadó. Mehr Details sind uns noch nicht bekannt.

Hier eine gekürzte Übersetzung des letzten Communiqués der Friedensgemeinde von San José de Apartadó über die Situation in und um ihre Gemeinde:

Wir sehen uns als Friedensgemeinde erneut gezwungen, unserem Land und der Welt über die Formen der Gewalt, Aggression und die Verletzungen   grundlegender Menschenrechte, die der kolumbianische Staat durch seine direkten oder indirekten Akteure,  die über die paramilitärsiche Strategie alliert sind,  gegen unsere Gemeinde begeht, zu berichten.

Die letzten Wochen des Jahres 2018 zeichneten sich durch eine intensive paramilitärische Offensive mit passiver und aktiver Unterstützung der Institutionen aus. Sie hatte den Zweck, die bäuerliche Bevölkerung unseres Gebietes unter Kontrolle zu bringen:  es wird eine erstickende wirtschaftliche Unterwerfung der Bauern aufgebaut, bei der durch die Einhebung von Schmiergeldern und illegalen Steuern auf Kernelemente der Existenzwirtschaft, d.h. auf Land, Viehzucht und Holz,  den Bauern die Schlinge um den Hals zugezogen wird.

Gleichzeitig werden ganze Landstriche durch „Punkte“ der Paramilitärs, die wie illegale „Autoritäten“ agieren,  bespitzelt und kontrolliert.  Diese „Punkte“   wähnen sich im Glauben, die Macht zu haben, Vorschriften diktieren und alle Bewohner erpressen zu können. Es fehlte auch nicht an Bestechungsversuchen an einigen unserer Friedensgemeindemitglieder. Man bot ihnen verlockende Mengen Geld an, damit sie als Informanten fungieren, ohne sich aus der Gemeinde zurückziehen zu müssen.

Diese Informationen scheinen als immer dringlicher dafür erachtet zu werden, dass die Todesdrohungen gegen unsere  Anführer und Mitglieder, die sich im Jahr 2018 mehrmals wiederholten, in die Tat umgesetzt werden können. Diese Drohungen des Jahres 2018 hatten auch den Beigeschmack von Vergeltung für den nicht geglückten Mordanschlag, der für den 29. Dezember 2017 geplant gewesen war.

Nachstehend  führen wir einige konkrete Vorfälle an:

  • Die im Hauptort von San José stationierte Polizei beging regelrechte Verbrechen gegen Ortsansässige: Mitte November raubte sie dem Bewohner José Policarpo Cataño ein Schwein. Er ist der Sohn von einem der Gründer von San José. Obwohl das Tier von seinem Besitzer am 15. November vor einem Mitglied des offiziellen Ombudsmann-Büros eindeutig wiedererkannt wurde, wurde es seinem Besitzer nicht zurückgegeben.
  • Am November 2018, als die Familie Cataño auf ihrem Grundstück einen Baum fällen wollte, drang Leutnant GABRIEL RAMON MARÍN von der Polizeistation auf das Grundstück ein und verlangte von dem Holzarbeiter, Herrn Gabriel López, 2 Mio. Pesos, um ihm zu erlauben, das Holz zu fällen. Der Holzarbeiter und die Eigentümerfamilie lehnten dies strikt ab und verurteilten die extreme Korruption der Staatsdiener energisch.  All das zeigt, dass es sich dabei um eine Vergeltung gegen die Familie Cataño handelt, weil sie beim Ombudsmann den in der Vorwoche begangenen Diebstahl des Schweins durch die Polizei angezeigt hatte. An andere Familien, die Holz sägten, wurde diese korrupte Forderung nicht gestellt.
  • Anfang Dezember besuchte der Paramilitär alias „MAJUTE“ ein Mitglied unserer Friedensgemeinde und bot ihm 900.000 Pesos an, wenn er Informant der Paramilitärs werde, ohne, dass er dafür die Gemeinde verlassen müsse.
  • Im Dezember 2018 informierten die Paramilitärs die Bewohner des Dorfes  La Esperanza, dass sie ihnen ein Schmiergeld (illegale Steuer) von 10.000 Pesos/Monat/Tier, das sie besitzen,  zahlen müssen; weitere 10.000 Pesos im Monat pro Hektar Land in ihrem Besitz und weitere 3.000 Pesos für jede Fuhr Holz, die sie verkaufen.
  • Am 24. Dezember 2018 verlangten die Paramilitärs von einem Bauern im Dorf La Cristalina, dass er ihnen eine Kuh aushändigen müsse und forderten, dass das Fleisch unter den Bewohnern des Orts verteilt werden sollte. An den Weihnachtstagen selbst verteilten die Paramilitärs Geschenke an die Kinder der Dörfer im Department Córdoba, insbesondere im Bezirk Tierralta, um so das Vertrauen der Bewohner zu erwerben.
  • Im Hauptort San José verboten die Paramilitärs den Händler*innen, während der Weihnachtstage und zu Neujahr Fleisch zu verkaufen und kontrollierten die Kühlanlagen, um die Einhaltung des Verbots zu sichern. Danach verlangten sie für jedes geschlachtete Tier illegale Steuern und forderten außerdem von den Händlern des Ortes höchste Beträge.
  • In der Weihnachts- und Neujahrswoche trafen bekannte Paramilitärs wie alias „RAMIRO“ und alias „SAMUEL“ im Dorf La Unión ein. Sie haben als „Info-Punkte“ oder Spione im Bezirk La Unión agiert. Es erschien auch alias „DAVIS“ zusammen mit ehemaligen Guerilleros, die zu den Paramilitärs übergelaufen sind, wie ELÍAS HIDALGO, der für die XVII. Brigade gearbeitet hatte und alias „RENÉ“, der eine Gruppe von Jugendlichen koordiniert, um  in Zusammenarbeit mit den Paramilitärs sowohl in San José als auch in La Cristalina Drogen zu verteilen.
  • Der Alkoholkonsum verursacht weiterhin Tragödien in San José: in der Sylvesternacht 2018 griff ein betrunkener Anwohner mit einer Machete seinen Stiefsohn an und trennte ihm dabei einen Arm fast vollständig ab.
  • In den letzten Woche des Jahres 2018 verbreiteten die Paramilitärs die Drohung, am 31. Dezember in San Josesito gegen die Friedengemeinde vorzugehen. So versuchten sie, bei den Mitgliedern unserer Gemeinde Unruhe und Panik zu verursachen.

Die Passivität oder Nachsicht der Sicherheitskräfte, der Justiz und anderer Institutionen des Staates gegenüber dem Vormarsch und die fortschreitende und erpresserische Kontrolle des Paramilitarismus in der ganzen Region ist empörend [ …]