Vergangene Woche trafen in Rom Menschenrechts – und Umweltschutzaktivist*innen, Organisationen und Initiativen, welche sich für Veränderung in Richtung einer solidarischen und nachhaltigen Wirtschaft einsetzen, mit Wirtschaftswissenschaftler*innen und Finanzexpert*innen zusammen. Der mehrtätige „Prophetic Economy“-Event diente als Plattform für internationalen, interaktiven, generationenübergreifenden Austausch.
Was ist prophetische Ökonomie?
„Eine prophetische Ökonomie, arbeitet mit Weitblick, das heißt, mit einer Vision von Gerechtigkeit und Frieden mit dem Anspruch, die Bedürfnisse der Ärmsten zu stillen und die Schöpfung zu bewahren. Wir brauchen eine Wirtschaft, in der nachhaltige Entwicklung ein Ziel ist. Das bedeutet eine Wirtschaft, in der Wohlstand geteilt wird. Das ist sozial gerecht und ökologisch nachhaltig”, erklärte Jeffrey Sachs, ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler während des Treffens. Ein weiterer Wirtschaftswissenschaftler, Stefano Zamagni, präzisierte: “Prophetisch sein bedeutet, weit voraus zu blicken und den Blick über die Hindernisse hinaus zu wagen, um Lösungswege zu finden. Denn das aktuelle Wirtschafts- und Sozialsystem funktioniert so nicht mehr. Die prophetische Wirtschaft sagt: Befreien wir uns von den alten Denk- und Sichtweisen und wagen wir neue Wege”.[1]
Wer betreibt prophetische Ökonomie?
Aus einer Vielfalt von Beispielen guter Praxis, die von verschiedensten Initiativen bereits weltweit umgesetzt werden, ging schließlich unser Partner, die Friedensgemeinde San José de Apartadó im Norden Kolumbiens, als Gewinner des Preises für die beste Praxis eines Wirtschaftens mit Weitblick und Umsicht hervor. Die ländliche, kleinbäuerlich strukturierte Friedensgemeinde San José de Apartadó setzt sich seit 1997 mit aktiver Gewaltfreiheit für das Recht auf Leben ein. Also dafür, nicht in den bewaffneten Konflikt zwischen verschiedenen staatlichen und nichtstaatlichen bewaffneten Akteuren hineingezogen zu werden, sowie auch nicht von ihnen vertrieben zu werden.
FOTO: Unterricht im Agrarzentrum der Friedensgemeinde von San José de Apartadó
(Foto: FOR Peace Presence)
„Dieser Preis ist vor allem eine Anerkennung für die Frauen, Kinder und Jugendlichen, die nicht am Krieg und einem System, das respektlos mit dem Leben und der Umwelt umgeht, teilnehmen und stattdessen eine Wirtschaft betreiben, die inmitten des anhaltenden Krieges, der uns umgibt, durch Gemeinschaftlichkeit auf Ernährungssouveränität setzen. Er ist eine Anerkennung der Geschichte, die die Friedensgemeinde mit Opfern und Schmerzen geschrieben hat.“ meinte Germán Graciano, Repräsentant der Friedensgemeinde von San José de Apartadó.[2]
Die Rolle der Prophet*innen
In der biblischen Tradition kann man die Aufgabe von Prophet*innen darin sehen, der Stachel im Fleisch des gesellschaftlichen Mainstreams zu sein.[3] Das biblische, prophetische Bewusstsein bezieht sich auch auf die Erfahrung, dass Gott den Schrei der Unterdrückten hört, sich auf ihre Seite stellt und die Machthaber in ihre Schranken weist. Dafür standen die Prophet*innen mutig gegen Unrecht auf, sprachen das Unrecht an und stellten sich auf die Seite der Benachteiligten, wenn sie nicht selbst eine/r von ihnen waren. Damit lebten und verkörperten sie ihre Botschaft.[4]
Die Friedensgemeinde verweigert allen bewaffneten Gruppen jegliche Kooperation oder logistische Unterstützung. Ihre Mitglieder verpflichten sich, keine Kokasträucher für die Kokainerzeugung anzupflanzen. Sie klagen Unrecht öffentlich an. Sie leben eine wirtschaftliche und pädagogische Alternative zum neoliberalen Wirtschaftsmodell, das sie seit vielen Jahren klar mit dem Klimawandel, den Ungerechtigkeiten und der extremen Ungleichheit in Kolumbien in Verbindung setzen.
Der Prophet im eigenen Land (ist nichts wert?)
Die Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer stellen sich mit ihrem gemeinwirtschaftlichen Entwurf gegen wirtschaftliche Interessen mächtiger Akteure und riskieren dabei ihr Leben. Sie wurden und werden dafür getötet, bedroht, angefeindet und angeklagt. Kurz bevor die Friedensgemeinde von San José de Apartadó den ersten Preis für die beste Praxis in der Umsetzung ihres Modells solidarischer und nachhaltiger Wirtschaft erhielt, wurde sie vom Kommandeur der XVII. Brigade des kolumbianischen Militärs, die um die Friedensgemeinde herum tätig ist, auf Verletzung der Grundrechte des Militärpersonals auf „Ehre“, „Ruf“ und „Privatsphäre“ geklagt.[5] Bemerkenswert dabei ist, dass die kolumbianische Justiz 2008 bestätigte, dass genau diese Brigade im Jahr 2005 gemeinsam mit paramilitärischen Gruppen ein Massaker an acht Mitgliedern der Friedensgemeinde geplant und verübt hatte.[6] Dass die Klage der XVII. Brigade genau zum jetzigen Zeitpunkt gemacht wurde ist auch im Zusammenhang mit der neoliberalen Öffnung Kolumbiens, die mit dem Friedensvertrag 2016 weiter forciert wurde, zu sehen. Sie heizt die Konkurrenz um das ungleich verteilte fruchtbare Land und die Bodenschätze an.[7] Auch die XVII. Brigade mischt immer wieder bei der Umsetzung der wirtschaftlichen Öffnung und von Projekten in der Region mit.[8]
FOTO: Bei seinem Besuch in Italien konnte Germán Graciano abschließend persönlich Papst Franziskus einen Bericht über diese Bedrohungen der Friedensgemeinde wie auch eine „Friedensschokolade“ aus eigener Produktion übergeben. ( Foto: Silvia de Munari)
[1] https://drive.google.com/drive/folders/11K_rcrP4iyLMfzie3GEawQW4tRWf0v6j
[2] https://es.aleteia.org/2018/11/09/lider-social-amenazado-por-paramilitares-recibido-por-el-papa-ofrendar-la-vida-por-la-paz-en-colombia/
[3] https://static.uni-graz.at/fileadmin/kath-institute/Katechetik/Bilder/Religionsbuch/7_Musterseite_2.pdf
[4] http://www.bewegungplus.ch/de/service/online-das-bewegungsmagazin/was-ist-prophetisch-an-den-propheten.html
[5] https://pbicolombia.org/wp-content/uploads/2018/11/Letter-to-IACHR-and-CorteIDH-Peace-Community-of-San-Jo%C5%9Be-de-Apartad%C3%B3.pdf (Fall 05045408900220180063300 28. September 2018)
[6] Siehe: Verdad Abierta, Confirmados nexos de AUC y miembros de la Brigada XVII en masacre de San José de Apartadó, March 17, 2010
[7] http://www.infactispax.org/wp-content/uploads/2006/10/Santos-IFP-11.2.pdf p.55
[8] http://diariodelsur.com.co/noticias/economia/en-1ra-rueda-de-negocios-en-carepa-se-concretaron-240-citas-326219