Friedensarbeit einmal anders. Ein Besuch aus Österreich in der Friedensgemeinde von San José de Apartadó, Kolumbien.
von Friedensfachkraft Michaela Söllinger
Zwei Jahre, nachdem Ingeborg Schwab bei der Videoaktion Art goes Peace von IFOR Austria mitmachte, besuchte die österreichische Schauspielerin, Theatermacherin und Sozialpädagogin das Pilotprojekt für einen Zivilen Friedensdienst Österreich in Kolumbien. Dabei begleitete sie auch unsere Friedensfachkraft Michaela Söllinger in die Friedensgemeinde von San José de Apartadó[1]. Sie tat dies mit einem erstaunlichen Repertoire an Werkzeugen im Gepäck, die eine energetische, freudige, körperliche Auseinandersetzung mit verschiedensten Elementen des Zusammenlebens erlauben. Eine Nacherzählung.
Das Wetter, der Konflikt, durch Klima- und Hygienebedingungen begünstigte Krankheiten, Stromausfälle und so weiter durchkreuzen meist eifrige Pläne, die wiederum zumindest eine Vorbereitung erlauben, aber dann meist eher spontan adaptiert werden müssen. So auch diesmal, doch das macht nix, denn Spontanität und Flexibilität sind im Gepäck dabei. Mit einem Tag Verspätung und Unterbrechungen mittendrin, schaffen wir es die Friedensgemeinde San José de Apartadó zu besuchen.
Es ist schon spät nachmittags, die Schule längst aus, als der angekündigte Besuch ankommt. Trotzdem lungern viele Schüler*innen um das „internationale Haus“ herum. Ingeborg würde etwas „Spannendes mit Ihnen machen“, so die Erwartungen. Drinnen, das erste Treffen von Ingeborg mit den Lehrer*innen. Als Ingeborg das Wort Akrobatik erwähnt, leuchten die Augen auf. Ein Akrobatikworkshop, mit Gruppenelementen, das soll es sein. Ach ja, und ob denn noch Zeit sei, auch etwas ähnliches mit den Jugendlichen zu machen? Strahlend bejaht Ingeborg. Morgen 10h, Workshop mit den Schüler*innen. Vielleicht kommt ja eine weitere Attraktion für den Muttertag raus.
Endlich ein erster kurzer Spaziergang für Ingeborg um den Hauptort der Friedensgemeinde ein bisschen kennenzulernen. Doch weit kommen wir nicht, am Spielplatz werden erste Freundschaften geschlossen. Was werden wir machen? Und die ersten akrobatischen Begegnungen beginnen.
Nächster Morgen. Ehrfürchtig betreten wir den Kiosk, das Rundhaus, in und um den der Workshop stattfinden soll. Er ist gefüllt mit energetischen, erwartungsvollen und auch manchen zweifelnden, schüchternen Augen. Internationale Besuche sind durch die Pandemie sehr selten geworden. Und los!
Dabei wird gezogen, gezerrt, losgelassen, festgehalten, draufgedrückt, weggedrückt, weggestoßen, zusammengehalten, Widerstand geleistet, zugelassen, anders probiert, unterstützt, Feedback gegeben, die anderen gespürt und auf sie reagiert.
Langsam wird eine Pyramide aufgebaut.[2]
Immer wieder stürzt sie ein. es wird diskutiert, nachjustiert, zusammengeholfen, Positionen vertauscht und wieder ausprobiert, fast aufgegeben und doch nochmal probiert. Ob größer oder kleiner, leichter oder schwerer, die Unterschiede werden durch das gemeinsame Arbeiten von Madchen und Jungs, Jüngeren und Älteren, aufgelöst. Die Verschiedenheiten werden für bestmögliches Gesamtgleichgewicht genutzt. Von unten nach oben wird nach und nach aufgebaut.
Dann geht es weiter mit den Jugendlichen. Partnerübungen werden ausprobiert. Es wird zugeschaut, mitgemacht, geschwitzt, gelacht, geschrien.
Der Akrobatikabend bekommt seine Eigendynamik. Als wir uns ein bisschen ausruhen, und das Spektakel beobachten, taucht plötzlich die Pyramide, die mit den Kindern geübt wurde, vor uns auf, etwas größer, nun mit den Jugendlichen. Geschafft gehen wir ins Bett.
Nach einer weiteren intensiven Trainingseinheit, die die Schüler*innen einfordern, naht Ingeborgs letzter Tag in der Friedensgemeinde, der Muttertag. Mit Zirkusmusik fliegen die Akrobat*innen, die erste und zwei Pyramiden werden mit einem großen Tusch abgeschlossen. Fast abgeschlossen, eine stürzt im letzten Moment unter dem Gelächter der Akrobat*innen ein.
Danke für den Besuch.
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(1) „Dynamisches Gleichgewicht“, oder „Peacebuilding from the bottom up“, sind nur zwei von vielen Assoziationen, die mir in diesen Tagen durch den Kopf schwirrten.
(2) Die Friedensgemeinde San José de Apartadó wurde im März 1997 von Bauernfamilien als unabhängige und unbewaffnete Gemeinschaft gegründet, die auf der Grundlage der aktiven Gewaltfreiheit Widerstand gegen die Kriegslogik leistet. Damit möchten die Bauernfamilien ihrer Vertreibung entgegenwirken, “in Würde überleben” und durch alternatives Wirtschaften zu einem „nachhaltiges, würdiges Leben für alle“ beitragen.