Brief der Friedensgemeinde an Präsident Santos

In klaren Worten beschreibt die Friedensgemeinde San José de Apartadó, wie es ihr während der Amtszeit des Präsidenten Juan Manuel Santos ergangen ist. In den ländlichen Gemeinden ist leider wenig bis gar nicht von dem Friedensprozess zu spüren, wie die auch Zahl der ermordeten Menschenrechtsverteidiger*innen belegen.

San José de Apartadó, 13. Juli 2018

An Herrn
JUAN MANUEL SANTOS CALDERÓN
Präsident von Kolumbien

Wenige Tage vor dem Ende Ihrer zweiten Regierungsperiode möchten wir Ihnen offen und ehrlich kundtun, was wir in diesen acht Jahren, in denen Sie das Amt des Präsidenten und Staatschefs Kolumbiens innehatten, eine Periode die sich noch in die Vergangenheit erweitern lässt, als Sie Verteidigungsminister des Expräsidenten Álvaro Uribe Vélez waren, gelebt und gefühlt haben. Während ihres Mandats, Präsident Santos, haben wir uns 20 Mal mit einem „derecho de petición“ (kolumbianisches Rechtsmittel, Anm. der Red.) an Sie gewandt.

Wir baten Sie dringend direkt einzugreifen, um eine Serie von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen die Friedensgemeinde von San José de Apartadó sowie gegen Bauern in deren Umgebung zu bremsen und den klaren vom Verfassungsgerichtshof dem Staatchef aufgetragenen Verpflichtungen nachzukommen. Diese Verbrechen wurden von Ihrem Militär, allen voran von der XVII Brigade, aber auch anderen Einheiten, in gemeinsamen Aktionen mit paramilitärischen Strukturen begangen.

Sie sind diesen Petitionen stets ausgewichen und haben Ihre juristischen Sekretäre angehalten, sie an die Täter selbst – an das Verteidigungsministerium und seine Untereinheiten – weiterzuleiten, wohl wissend, dass Sie sich nicht verfassungsrechtlichen Anweisungen widersetzen dürfen und dass Sie völlig rechtswidrig handeln, wenn Sie den Täter zu seinem eigenen Fahnder und Richter machen.

Niemandem ist neu, dass eine ausweichende Politik in Bezug auf eine Serie von schrecklichen und systematischen Verbrechen, gedeckt durch sich selbst freisprechende Urteile der eigenen Untergeordneten, den obersten Mandatar offensichtlich vor der internationalen Gemeinschaft bloßstellt – einer internationalen Gemeinschaft, die schon seit Jahrzenten Verträge und Konventionen erarbeitet, um die Opfer vor solchen Verbrechen zu beschützen.
Sie also, Herr Präsident Santos, verlassen Ihr Amt vor der Geschichte und der Welt als Verantwortlicher für Hunderte von schrecklichen Verbrechen, mit denen versucht wurde unsere Friedensgemeinde auszulöschen.

Wir sprechen von Verbrechen wie außergerichtlichen Hinrichtungen, Verschwindenlassen, sexueller Missbrauch, Folter, illegalen vorübergehenden Anhaltungen, willkürlichen Festnahmen und strafrechtlichen Verfolgungen, unzähligen Drohungen, Ankündigungen von Auslöschungen, Lebensmittelboykotts, Zerstörungen und Verbrennungen von Häusern und Feldern, bewaffnete Überfälle, um lebensnotwendige Güter der Beraubten zu erbeuten, Entweihungen und Verstecken von Leichen, Plünderungen, Raub von Nutzieren – hauptsächlich Lastentieren, die für die Bauern die einzige Möglichkeit darstellen, ihre armseligen Produkte zu vermarkten, Raub von Werkzeugen, rufschädigenden Kampagnen, Verleumdungen und Stigmatisierung durch Massenmedien, fehlende, manipulierte oder korrumpierte juristische und disziplinarische Untersuchungen und eine Generalisierung der Straflosigkeit und Abbau des Schutzes durch die Justiz.

Wenn die Gemeinde auch mehrmals von dem juristischen Werkzeug der Tutela (ein Rechtsmittel zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofs, Anm. der Red.) Gebrauch machte und der Verfassungsgerichtshof mit drei Urteilen und zwei Beschlüssen die Anliegen der Friedensgemeinde unterstützte, verwarfen Sie selbst und all Ihre Regierungseinheiten alle Anordnungen des höchsten Gerichtes des Staates. Sie verwarfen auch andere Anordnungen aus weiteren Urteilen desselben Gerichtshofes, wie solche, die sich auf das Verbot des Verbleibs von Militär- und Polizeieinheiten inmitten der Zivilbevölkerung in Konfliktzonen beziehen oder solche, die dem Mandatar untersagen, sich mit falschen Informationen öffentlich gegen Gruppen und Gemeinden zu äußern, oder solche, die sich auf das Verbot von schriftlicher Registrierung der Zivilbevölkerung beziehen.

Die Missachtung all dieser verfassungsrechtlichen Normen und Entscheidungen seitens Ihrer Regierung brachte uns zu dem Schluss, dass „der Rechtsstaat“ mehr eine propagandistische Fiktion ist, die benutzt wird, um gegensätzliche Realitäten zu verbergen.
Während Ihrer gesamten Amtszeit, wie auch während der Amtszeit Uribes, beantragten wir, dass Sie uns die Namen, institutionellen Identifikationsnummern, Einheiten und Befehlsketten all jener Mitglieder der öffentlichen Streitkräfte bekanntgeben, die während der bestimmten Zeiträume an den Orten anwesend waren, wo die Verbrechen stattgefunden haben.

Aber Ihre Regierung hat diese Anträge immer abgewiesen.
Auch als der Verfassungsgerichtshof selbiges mehrmals anordnete, missachteten Sie dies, und verhöhnten damit den höchsten Gerichtshof des Staates.

Am Ende Ihres Mandats, im Dezember 2017, ordnete der Gerichtshof noch einmal an, innerhalb einer Frist von zwei Monaten den Forderungen nachzukommen. Ihre Regierung missachtete erneut das Mandat des Gerichtshofs. Derartige Rechtsmittelversäumnisse haben offensichtlich einen Zweck: Weiterhin Vermummte und Eingeschleuste im armseligen paramilitärischen Stil und Kriminelle in Ihrer Regierung haben zu können.

Sie hinterlassen also die Präsidentschaft mit enormen Schulden gegenüber der Menschheit.

Hoffentlich kommt der Tag, an dem ehrliche, internationale Tribunale angesichts dieser Tausenden Verbrechen Gerechtigkeit walten lassen und ein Urteil über Ihre Teilnahme an diesen Verbrechen in Form von Beihilfe, Akzeptanz, Unterstützung, Toleranz und Schutz für die Täter fällen werden.

In diesem Zusammenhang beschämt uns die Auszeichnung, die Ihnen mit der Verleihung des Friedensnobelpreises zuteil wurde, ohne auch nur irgendeine Anerkennung von Schuld an diesen vielen zusätzlichen Tausenden Vergehen gegen fundamentale Rechte der Kolumbianer. Die Untergebenen, die diese Vergehen begingen, werden durch Ihre Haltung, nicht einmal zu erlauben, dass Untersuchungen gegen die mutmaßlichen Täter durchgeführt werden, nicht nur geschützt, sondern vielmehr auch ideologisch von jeder Schuld befreit, sowie es auch bei den Interventionen während des Friedensprozesses passierte, der danach enorm abgeschwächt wurde.

Mit großem Schmerz für das Heimatland,

Friedensgemeinde San José de Apartadó
Javier Giraldo Moreno, S. J. Unterzeichner der „derechos de petición“