Foto: Cizre – (Das Bild entstand während einer Delegationsreise 2016)
Auf den ersten Blick merkte man im März 2018 in Istanbul nicht viel davon, dass sich die Türkei im Krieg befand. An der Passkontrolle wartete eine lange Touristenschlange. Alles lief normal. Einkaufsstraßen wie İstiklal waren überfüllt. Als wir jedoch die Metro nahmen, mussten wir in der Station Yenikapı umsteigen. Hier präsentierte sich uns eine kriegs- und militärverherrlichende Ausstellung.
„ÇANAKKALE HAT EINE NACHRICHT FÜR AFRIN“
So lautet der Titel der Ausstellung. Es werden Anschauungsobjekte des Krieges in Gallipoli, dem türkischen Çanakkale, dargeboten, in dem vor mehr als 100 Jahren das osmanische Reich eine Schlacht gegen die britische und französische Marine gewann. Der aktuelle Krieg in Afrin wird als Fortsetzung dieses Krieges dargestellt. Das osmanische Reich sei auf dem Weg zur Wiederauferstehung.
DIE BESUCHER*INNEN
Als internationale Arbeitsgruppe des internationalen, antimilitaristischen, gewaltfreien Netzwerkes War Resisters‘ International (WRI) fuhren wir vom 19. bis 25. März nach Istanbul. Die Arbeitsgruppe Türkei von WRI setzt sich aus Mitgliedern von Connection e.V., Bund für Soziale Verteidigung (BSV), Internationaler Versöhnungsbund – österreichischer Zweig, La Transicionera (Spanien) und Aktivist*innen aus der Türkei zusammen. Sie wurde während der gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Südosttürkei 2015/16 gegründet und rief damals öffentlich dazu auf, den Kreislauf der Gewalt in der Türkei zu stoppen. Bei unserem Besuch in Istanbul trafen wir Friedens- und Menschenrechtsaktivist*innen aus der Türkei, um uns über ihre aktuelle Situation und ihre Pläne und Aktivitäten im Hinblick auf den Krieg in Afrin und die angespannte Menschenrechtslage in der Türkei zu informieren.
DIE MENSCHENRECHTSLAGE
Nach unserer Woche in Istanbul müssen wir feststellen, dass die anhaltende Verschlechterung der Menschenrechtslage erschreckend ist. Seit die türkischen Militäroperationen im Norden Syriens begannen, wurde es für Aktivist*innen in der Türkei sehr schwierig, das Wort „Frieden“ auch nur auszusprechen, den Krieg in Afrin zu kritisieren oder die Rückkehr zu einem Friedensprozess mit der kurdischen Bevölkerung zu fordern. Nachdem die Medizinerkammer ein Communiqué über den Krieg veröffentlichte, wurden mehrere Vorstandsmitglieder verhaftet, woraufhin etliche Organisationen beschlossen, keine öffentlichen Stellungnahmen mehr zu machen. Seitdem türkische Behörden damit begannen, Untersuchungen aufgrund von Kommentaren in sozialen Medien einzuleiten, nehmen Aktivist*innen auch von Stellungnahmen auf ihren Accounts Abstand.
Was also noch veröffentlicht wird, sind Sichtweisen regierungskonformer Medien, welche in ihren Publikationen eine breite Unterstützung des Erdogan-Regimes und des Krieges suggerieren. Die Opposition gegen den Krieg ist kaum sichtbar.
Nichtsdestotrotz zieht die WRI-Arbeitsgruppe den Schluss, dass die breite Unterstützung des Krieges in Afrin, die türkische Medien zeichneten, gar nicht so breit war und ist. Eine unabhängige Umfrage sprach davon, dass 30% der Bevölkerung diesen Krieg nicht unterstützten. Menschrechtsorganisationen berichteten auch von täglichen Konsultationen von Männern, die nicht in den Krieg ziehen wollten. Und trotz der Angst vor dem scharfen Vorgehen der Polizei gab es weiter Protestaktionen gegen den Krieg. Während unseres Besuchs in Istanbul wagten zum Beispiel Student*innen der Universität Istanbul ein Banner anzubringen, das „Nein“ zum Krieg sagt. Die Student*innen wurden sofort vom türkischen Präsidenten als Verräter*innen und Terrorist*innen bezeichnet und verhaftet.
MÖGLICHKEITEN DER UNTERSTÜTZUNG
Friedens- und Menschenrechtsaktivist*innen aus der Türkei haben sehr klare Vorstellungen davon, was im Ausland getan werden soll: Jeglicher Waffenhandel mit der Türkei soll sofort gestoppt werden.
Die Europäische Union unterstützt die Türkei noch immer sehr tatkräftig. Ein zweiter Teil der drei Milliarden Euro des Flüchtlingsdeals werden in die Türkei überwiesen werden. Mit den 80 Millionen Euro, die an die Türkei gezahlt wurden, um die türkische Grenzkontrolle zu unterstützen, wurden gepanzerte Fahrzeuge gekauft. Und der Waffenhandel geht noch immer weiter. Deutschland alleine hat seit Beginn der Offensive in Afrin Munition und andere Güter im Wert von 4.4 Millionen Euro in die Türkei exportiert. Es scheint, dass die Freilassung des Journalisten Deniz Yücel – trotz aller Dementis – von den Deutschen mit 31 Exportgenehmigungen zwischen Dezember 2017 und Jänner 2018, wahrscheinlich unter anderem für Panzer, erkauft wurde.
Die Aktivist*innen aus der Türkei kommentierten diese Zahlen folgendermaßen: „Der Krieg in Afrin und die Unterdrückung in der Türkei, insbesondere in den kurdischen Regionen, sind überwiegend aufgrund der Waffen, die vor allem aus Deutschland, Spanien, Italien und Russland kommen, möglich. Solange es Länder gibt, die Waffen verkaufen, werden diese für Unterdrückung und Verletzungen der Menschenrechte verwendet werden. Ein wichtiger Schritt, um dies zu unterbinden, wäre ein sofortiger Waffenhandelsstopp!“. Wir möchten Folgendes hinzuzufügen: Die anhaltende Unterstützung der türkischen Regierung mit Geld und Waffen muss als Legitimierung ihrer Politik der Unterdrückung, der Menschenrechtsverletzungen und des Krieges angesehen werden. Das muss unverzüglich aufhören.
Rudi Friedrich arbeitet bei Connection e.V. in Deutschland.