Über 10.000 Geflüchtete befinden sich zurzeit auf der griechischen Insel Lesbos, nahe der
Türkei. Camp Moria ist das größte Flüchtlingslager in Europa. Die Situation vor Ort ist
menschenunwürdig: Das für 3000 Menschen ausgelegte Lager ist gezeichnet von Platznot,
mangelnder Hygiene und medizinischer Versorgung.
Chaos im Camp
In der ehemaligen Kaserne werden die Menschen in Containern und Campingzelten
untergebracht. Das Gelände ist mit Stacheldrahtzäunen und Wachposten abgesichert und
wirkt auf den ersten Blick wie ein Gefängnis.
„Es ist das schlimmste Flüchtlingslager auf der Welt“. Elvis, ein Flüchtling aus Uganda,
verbrachte zehn Monate im Camp Moria.
Außerhalb der ehemaligen Militäranlage wurde die „Zelt-Stadt“ errichtet: In vom UNHCR
gesponserten Zelten, schlafen bis zu 18 Menschen. Saadia, ein 14-jähriges Mädchen aus
Afghanistan, zeigt uns ihren Schlafplatz den sie sich gemeinsam mit ihren vier
Familienmitglieder teilt: Die rund drei Quadratmeter bilden das „Zuhause“ der Familie.
„Es ist schrecklich: Es ist einfach viel zu wenig Platz. Wir schlafen praktisch übereinander“.
Erschwert wird die Situation durch die hohen Temperaturen im Sommer: Die Zelte heizen
sich so stark auf, dass sich ein großer Teil der Menschen dazu entschließt, außerhalb auf
dem Boden zu schlafen.
Vor den Sanitäranlagen stehen die Menschen Schlange: Eine Frau zeigt hektisch auf die stark
heruntergekommenen und verdreckten Toiletten und Duschen und bricht fast in Tränen aus
als sie versucht uns zu erklären, dass sie an starkem Durchfall leidet. Die Frau repräsentiert ein
großes Problem im Camp: Durchfallerkrankungen und Hauterkrankungen sind
aufgrund mangelnder Hygiene und medizinischer Versorgung an der Tagesordnung.
Von den geschätzten 10.000 Geflüchteten in Moria sind ein Drittel Kinder und
Minderjährige. Suizidgedanken sind hier kein Ausnahmefall. Laut einem Bericht der
Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ aus dem Jahr 2018 hatte fast ein Viertel der Kinder
und Jugendlichen, mit denen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein Therapiegespräch
führten, daran gedacht sich umzubringen oder sich selbst zu verletzen. Ärzte ohne Grenzen
forderte, aufgrund der Umstände, bereits letztes Jahr eine sofortige Evakuierung des Lagers.
Saadia ist gemeinsam mit ihren beiden Brüdern nach Lesbos gekommen. Ihr jüngerer Bruder
leidet an einer psychischen Erkrankung. „Oft will er sich selbst oder andere verletzen. Ich
weiß nicht was ich tun soll.“ Die Menschen im Camp Moria sind gezeichnet durch eine
schwere Vergangenheit: Die meisten fliehen aus dem Land aufgrund von Verfolgung, Gewalt und
Krieg. Der anstrengende und gefährliche Weg nach Europa und die Zustände im Camp bilden
eine zusätzliche Belastung: Viele sind dringend auf psychologische Hilfe angewiesen, wenige
bekommen aber diese auch.
Asyl
Der Ablauf, um Asyl zu erhalten, ist immer der gleiche: Erst bekommt man einen Termin
für das Interview. Dann wird in einem Gespräch von der EASO (European Asylum Support
Office) festgestellt ob man das „Recht“ hat hier zu bleiben oder nicht. Sollte der Asylantrag
abgelehnt werden kann Einspruch erhoben werden. Der wird in Athen von Jurist*innen
bearbeitet, die die Flüchtlinge jedoch nicht persönlich kennenlernen.
Drei Männer aus Afghanistan erzählen uns, dass sie erst nächstes Jahr, 2020, einen Termin für
Ihr Interview bekommen. Das bedeutet sie müssen noch mindestens sechs Monate im Camp
warten. Die Behörden sind mit der hohen Anzahl ankommender Flüchtlinge überfordert
und die Wartezeit für einen Asylantrag kann bis zu einem Jahr dauern. In dieser Zeit müssen
sich die Flüchtlinge auf der Insel aufhalten und haben kein Recht diese zu Verlassen.
Die Geldfrage
Trotz der katastrophalen Zustände für die Flüchtlinge auf der Insel Lesbos, hat die EU selten
so viel Geld für eine humanitäre Krise ausgegeben. Doch wohin gehen diese Förderungen?
Seit 2015 erhielt Griechenland für die humanitäre Krise geschätzte 1.2 Milliarden Euro von der
EU. Bereits letztes Jahr führte der Oberste Gerichtshof in Athen Ermittlungen zu einer
möglichen Unterschlagung von europäischen Gelder, seitens der griechischen Regierung
durch.
Hinzu kommt, dass Gelder aus dem Fond von der EU nicht ausbezahlt werden konnten, weil
die griechische Regierung die strategische Planung für die Auszahlung nicht beendet hat.
Die Kontrolle über die Gelder ist verloren gegangen. Hierbei handelt es sich um ein
Missmanagement auf höchstem Niveau. Die menschenunwürdigen Zustände in den
Hotspots sind kein Zufall, sondern eine gezielte Strategie der Europäischen Union: Die
unzumutbare Situation für die Flüchtlinge vor Ort dient als Abschreckung.
Während die Situation für die Flüchtlinge in Griechenland immer kritischer wird und der
Winter im Camp bevorsteht, möchte die Europäische Union ihre Grenzen endgültig
dichtmachen: Frontex, die stark umstrittene europäische Grenzschutzagentur, soll bis 2025
auf 10.000 Mitarbeiter*innen aufgestockt werden.
Tagtäglich sterben Menschen aufgrund dieser Politik und die Staaten sehen gleichgültig
dabei zu.
Tabea und Petra machen gemeinsam Fotodokumentationen in Konfliktländern. Ihre Fotos findet ihr auf instagram.com/kairoskk
Bilder zu diesem Beitrag von Tabea und Petra.