Heiß umfehdet, unumstritten

Gedanken zur österreichischen Neutralität

Reiterstatue-Hofburg-Heldenplatz


Am 11. Dezember des vergangenen Jahres fand im Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) eine Podiumsdiskussion zum Thema „Neutralität – Hemmschuh oder Chance für eine aktive Außenpolitik“ unter der Moderation des Direktors des OIIP Cengiz Günay statt. Es diskutierten Mag. Dr. Ralph Janik, Institut für Völkerrecht an der Universität Wien, Dr. Thomas Mayr-Harting, früherer Diplomat und Ann-Giulia Fink, Redakteurin des „Standard“.
Zunächst meinte Mayr-Harting, dass es unter der Ära Kreisky noch eine „aktive Neutralitätspolitik“ gab, bezweifelte jedoch, dass diese – nach all den Ereignissen, v. a. EU-Beitritt, Vertrag von Lissabon, NATO-Interventionen, Ukraine-Konflikt – auch heute noch einen friedensstiftenden Beitrag für die EU bilden könne. Er führte dazu den früheren belgischen Außenminister an, der meinte, dass Österreich in den 80er und 90er Jahren lieber mit Russland als mit anderen Staaten verhandle, also durchaus parteiisch (d. h. weniger europäisch gesonnen) sei.

Durch die, im Vertrag von Lissabon festgelegte „gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik“ der EU (GASP), wurde auch Österreich „Partei“, vor allem auch auf Seiten der Ukraine, wie auch die gesamte EU und sei nur mehr „residuär“ durch die so genannte „irische Klausel“ (mit den nunmehr verbliebenen neutralen EU Staaten Irland, Malta und Zypern) neutral.
Ralph Jannik stimmte dem zunächst zu, ja bezeichnete die österreichische Neutralität als „überlebenden Wurstzipfel“ und teilweise sogar als Hemmschuh, Dinge nicht zu tun, die wir als neutraler Staat tun könnten, aber nicht tun wollen. Aber nicht einmal die Schweiz sei mehr so neutral, wie sie es gern wäre, denn es lastet der Druck der EU auf ihr. Durch Terrorismus, Sabotage, Cyberattacken habe sich die Rolle der Neutralen fundamental geändert.
Mayr-Harting wies jedoch darauf hin, dass Österreich sehr wohl noch immer auch gestaltende Positionen einnehme und führte dazu die Öffnung zum Westbalkan an. Dazu meinte die Journalistin Fink, dass weniger NATO-Affinität durchaus als Vorteil anzusehen sei, aber mangels wirklich zielführender Initiativen nicht genutzt werde. So gehe die österreichische Außenpolitik an der Realität vorbei. Mayr-Harting ist ähnlicher Ansicht und meinte, dass die Vermittlungsmöglichkeit als neutrales Land nicht genutzt werde. Besonders auch als Sitz der OSZE (Organisation zur Sicherheit und Zusammenarbeit Europas) in Wien käme dem Drängen auf Verhandlungslösungen eine wichtige Rolle zu.

Jannik weist jedoch darauf hin, dass Wien als Verhandlungsort derzeit äußerst dürftig ausgestattet sei und wegen fehlender bzw. nicht zur Verfügung gestellter Ressourcen kein Garant für die Auswahl sei. Fink bemängelt auch in diese Richtung, dass oft nur ein Raumangebot (wie bei den Atomverhandlungen mit dem Iran) angeboten würde, aber keine Vermittlungstätigkeit, obwohl dies auch seitens Mayr-Harting als ausschlaggebend bezeichnet wird. Auch wenn diese Aktivität lange Zeit unsichtbar bleibe und es Geduld braucht um die Sache reifen zu lassen (z. B. auch bei der Schweizer Vermittlung im Ukrainekonflikt) hänge gerade daran eine Erfolgsquote ab. Er zitierte dazu Erhard Busek der ironisch meinte: „In Österreich werde schon von einer Lösung gesprochen, bevor der Konflikt bekannt sei.“
Frau Fink bemängelt, dass in Österreich die Außenpolitik oft von innenpolitischen Querelen überlagert wird und dass viele gute Diplomaten damit keine eloquenten Außenpolitiker sein können. Dazu bemerkt Jannik, dass sich Österreich derzeit aus Konflikten eher heraushält, d. h. eher einen „Neutralismus“ statt Neutralität pflegt. Als „Insel der Seligen“ meinen anscheinend viele, dass uns internationale Konflikte nichts angingen.
Einzige Ausnahme ist die österreichische Balkanpolitik, die zwar wenig populär ist, aber dennoch vorangetrieben wird. Dennoch gäbe es eine Menge anderer Konfliktsituationen, die auch nicht populär oder bekannt sind, aber eines weiteren Engagements Österreichs bedürften. Dazu kommt, so Jannik, dass v. a. die Rüstungsindustrie auf einen NATO-Beitritt drängt und sonst mit einem Arbeitsplatzverlust droht. Er meint jedoch, dass die Neutralität nur bei zwischenstaatlichen Konflikten eine Rolle spielen kann, nicht aber bei Terror (Israel 9.10.2023) oder Völkerrechtsverletzungen (Ukraine).
Mayer-Harting leitet über, dass die Außenpolitik im Zusammenhang mit Interessen der österreichischen Öffentlichkeit stünden führt als Beispiel die syrischen Flüchtlinge an*. Jannik meint abschließend, dass die Neutralität immer „zieht“, also unseren Bezug zur Welt darstellt und damit Aufmerksamkeit generiert. Dazu kommt, so Jannik, Mayr-Harting pflichtet bei, dass dadurch überproportionale Gestaltungsmöglichkeiten z. B. bei der GASP oder der Balkan-Abrüstung gegeben seien.

*Die Veranstaltung fand vor dem Umbruch in Syrien statt


Als Resümee der Veranstaltung kann also vermerkt werden, dass ausgehend von durchwegs skeptischen Einstellungen zur österreichischen Neutralität (oder zumindest wie sie derzeit gehandhabt wird), im Laufe der Diskussion durchaus Chancen, ja Zustimmung zu einer aktiven Neutralitätspolitik entwickelt wurden. Dieser Ansicht entspricht auch im Großen und Ganzen der Einstellung des österrei-chischen Zweigs des Internationalen Versöhnungsbundes:
Wenn sich nämlich in der EU-Außenpolitik eine „Aufgabenteilung“ entwickelte, könnten gerade die verbliebenen nicht NATO-Mitglieder der EU eine herausragende, alternative Konfliktlösungs- und damit Friedensinitiative einbringen. Aber es ist auch klar, dass dieser eine lange Atem voraussetzt und ohne Schielen auf die nächsten Wahlen umzusetzen sein wird. Andererseits sind die dafür aufzuwendenden Mittel im Vergleich zu Rüstungsaufwendungen bescheiden und trotz akuter Budgetkrise vernachlässigbar. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Einstellung durchsetzen wird und verbreitet.


von Herbert Peherstorfer (8.1.2025)