KOLUMBIEN: Wieder zuhause oder doch alles anders!?

Wie wird das wohl sein nach 14 Jahren wieder zurück an einen Ort, zu einer Gemeinschaft bei der ich über ein Jahr gelebt habe und dann noch weitere Monate intensiv über das Backup-Office von Bogota im Kontakt war …

Marion unter einem Baum

… 14 Jahre, in denen sich viel getan hat … bei mir, in der Gemeinschaft, in Kolumbien und überhaupt.

Nach vielen erfolglosen Verhandlungen in der Vergangenheit sowie späteren schließlich erfolgreichen Treffen durch die Unterstützung von Norwegen und Kuba über Jahre hinweg, wurde Ende 2016 endlich der langerhoffte Friedensvertrag zwischen der größten Guerillagruppierung Kolumbiens, der FARC-EP, und der Regierung abgeschlossen. Viele Erwartungen und Hoffnungen auf Verbesserung der Menschenrechtssituation waren an diesen Vertrag geknüpft.

Seit 2022 hat Kolumbien nun zum ersten Mal in seiner Geschichte einen linksgerichteten Präsidenten, der sich zum Regierungsziel „Paz total“ („Totaler Frieden“) im ganzen Land gesetzt hat und sich nun auch mit einer weiteren Guerillagruppierung an einen Tisch setzt, um ein Abkommen zu erreichen.

Wie haben all diese Veränderungen im Land auch zu Veränderungen in der Friedensgemeinde von San José de Apartadó beigetragen, hat sich überhaupt etwas verändert!?

Die Straße von Medellín bis Apartadó war vor 14 Jahren noch großteils nicht asphaltiert, eine typische „Dirt Road“ auf der es immer so gestaubt hat, dass es trotz Hitze oft unmöglich war die Fenster im Bus zu öffnen …

…jetzt ist die Straße durchgehend betoniert, mit einem Tunnel ausgestattet und als „4G“ (4. Generation) eine Hauptstraße zum Atlantikhafen in Turbo. Interessanterweise dauerte die Anreise weiterhin sieben Stunden, gleich lang wie damals, als die Straße noch nicht asphaltiert war. Auch Ananasmonokulturen sind nun entlang der Straße gepflanzt, neben den bereits damals existierenden Ölpalmen- und Bananenplantagen.

Apartadó, die Bezirkshauptstadt, ist gewachsen … mehr Bewohner:innen, statt eines Großsupermarkts gibt es jetzt um die fünf und zwei komplette Einkaufszentren kamen auch dazu.

Wie damals, fahren wir mit eine Jeep von Apartadó bis La Holandita (der Hauptort der Friedensgemeinschaft im Tal) – es gibt drei Optionen für Passagier:innen: drinnen sitzend, zusammengequetscht zwischen Einkaufsäcken, Hühnern und Menschen oder mit Belüftung und hervorragendem Ausblick oben sitzend zusammen mit den Zement- oder Futtersäcken der Passagiere oder hinten stehend. Der Hauptort San José hat sich verändert – wird mir erzählt – auch hier leben mehr Menschen und es wurden größere Wohneinheiten errichtet.

Die Ankunft in La Holandita ist wiederum irgendwie gleich, abgesehen davon, dass nun mehrere schattenspendende Mandelbäume in den Straßen wachsen, es ein neues Kulturzentrum gibt, das Lagerhaus erneuert wurde sowie eine Einrichtung zur Panelaproduktion (Vollrohrzucker) errichtet wurde. Aber hier sind sie, die Menschen, die ich kenne und schätze, sowie unser NGO-Haus.

Am nächsten Tag in der Früh haben wir eine Besprechung mit dem Rat der Friedensgemeinde. Dieser hat sich „verjüngt“ – er besteht nun aus jüngeren Mitgliedern – ein gutes Zeichen für neue Energien und das Fortbestehen der Gemeinde. Danach geht es auf zur siebenstündigen Wanderung nach Mulatos, wo wir die nächsten zehn Tage verbringen werden.

Guacamayos

Der Weg nach Mulatos hat sich verändert, die hohen Wälder wurden in den letzten Jahren von den sich ansiedelnden Privatgrundbesitzer:innen großteils abgeholzt und mit Kakao-Monokulturen bepflanzt. Trotzdem kommen wir an schönen Abschnitten vorbei und treffen auf eine Gruppe von Guacamayos (Ara-Papageien).

Kolumbien-Mulatos
Auf dem Weg nach Mulatos

Die Reise verläuft ohne Zwischenfall. Vor 14 Jahren gab es noch klarere Definitionen der bewaffneten Gruppen vor Ort – das staatliche Militär, die Paramilitärs und die Guerilla – großteils in spezieller militärischer Kleidung, die sie sichtlich erkennbar machte. Nun ist immer Vorsicht geboten, es ist schwierig zu wissen wer illegale bewaffnete Gruppen unterstützt – oft wird zum Beispiel durch schlecht gespielte, aber leider erfolgreiche Videos auf Social Media gegen die Friedensgemeinde aufgehusst – und wer vielleicht tatsächlich bewaffnet ist. Eigentlich abgerüstete Paramilitärs und manche ehemalige Guerillerakämpfer:innen in Zivilkleidung, mit Funkgeräten und oft auch mit Kleinwaffen auf unterschiedliche Posten aufgeteilt überwachen das Gebiet.

Aufgehusst wurde auch lange gegen die Familie, die eine kollektive Finca der Friedensgemeinschaft im Dorf La Esperanza bewohnt hatte und gemeinsam mit der Friedensgemeinschaft gewaltfrei aktiv versucht hat den Bau einer illegalen Straße, möglicherweise für Bergbauunternehmen, welche von den illegalen Gruppierungen und den ansässigen Dorfräten gepusht wird, zu verhindern. Bis die Situation schlussendlich eskalierte und die 30-jährige Frau und der 15jährige Bruder ihres Partners am 19. März 2024 ermordet wurden. Seitdem lebt von der Friedensgemeinde niemand mehr permanent auf der Finca von La Esperanza. Wenn es internationale Begleitung gibt, werden die Felder in Arbeitsgruppen bewirtschaftet, wie auch hier in Mulatos und in La Resbalosa.

Häuser in Mulatos
In Mulatos

Angekommen in Mulatos, kommen viele Erinnerungen auf. 2009 begann die Friedensgemeinde nach dem Massaker von 2005 die „Aldea de Paz“ zu errichten – ein alternatives Gemeindezentrum mit großen Besprechungen, Festen und Fortbildungen für alle Mitglieder, welche aus dem gesamten Gemeindegebiet anreisten und ihre Hängematten aufhängten. Das Denkmal des furchtbaren Massakers von 2005 an drei Kindern und fünf Erwachsenen, ist mittlerweile fertig. In der Zwischenzeit wurde auch von dem jetzt ansässigen Dorfrat ein Reitweg ausgebaut, welcher direkt durch das Grundstück der Gemeinde führt, sowie gleich auf der anderen Straßenseite ein Zentrum des Dorfrats und eine staatliche Schule errichtet. Nun, nach dem Mord an zwei Mitgliedern im März, wird die Aldea de Paz von Familien besiedelt, welche auf den zerstreuten Fincas gelebt haben, denn zu mehrt ist alles einfacher und so können sie gemeinsam die umliegenden Felder bearbeiten. 

Reisfeld-Mulatos
Reisfeld in Mulatos

Während unseres Aufenthaltes leben wir hier in der „Aleda de Paz Luis Eduardo Guerra“, dem Sitz der Friedensgemeinde in Mulatos und begleiten die Mitglieder zum Arbeiten auf die umliegenden Felder oder nach La Resbalosa, ein etwas mehr als eine Stunde Fußweg entferntes Gemeinschaftsgebiet. Es werden Zäune repariert, Kakaobäume gepflanzt und gekreuzt, die Weideflächen der Rinder gepflegt, es wird gemolken und Käse produziert und es wird auch „el pan coger“ wie Reis, Bohnen und Bananen geerntet.

La Resbalosa liegt noch abgelegener als Mulatos. Der Mord an den zwei Mitgliedern der Friedensgemeinde am 19. März in La Esperanza wurde immer noch nicht aufgeklärt. Es wurde das Gerücht verbreitet, dass der eifersüchtige Partner die beiden umgebracht habe, und dass der Mord nichts mit den Interessen an dem illegalen Straßenausbau und den Bergbauprojekten zu tun habe – letzteres wurde sogar von Funktionär:innen des Bürgermeisteramts von Apartadó offiziell auf deren Social Media verbreitet.

Wo ist die Unterstützung der Regierung, der Staatengemeinschaft? Kann solch ein Mord einfach straflos bleiben? Fragen, die wir uns kontinuierlich stellen.  „Paz total“, ein hohes Ziel, mit vielen Herausforderungen – aber wie lange muss die Zivilbevölkerung noch so viel Angst und Unsicherheit bei der Verteidigung ihrer Rechte verspüren?

Also ja, es hat sich viel verändert, aber es ist auch vieles gleich geblieben, unter anderem die Unsicherheit und die fehlende staatliche Unterstützung vor Ort. Weiterhin ist die Begleitung internationaler Organisationen und Personen erforderlich, um das „ehrgeizige“ Projekt der Friedensgemeinde, einem friedlichen und gemeinschaftlichen Lebens mitten in einem Konfliktgebiet mit wirtschaftlichen Interessen, zu ermöglichen.

14 Jahre mit vielen Veränderungen, und doch ist die Gefahr und die Angst gleichgeblieben, aber auch der Mut und die Resilienz der Mitglieder, die mit immer neuen Ideen ihre Gemeinschaft und ihr Projekt stärken und unterstützen. Genau gleich geblieben ist auch mein Respekt vor diesem revolutionären weltweiten Vorzeigeprojekt und besonders vor den Menschen, die es leben!

Weiterhin ist internationale Sichtbarkeit wichtig! Unterstützen wir die Friedensgemeinde von San José de Apartadó indem wir sie begleiten, ihre Berichte und Kanäle lesen, über ihren Mut und ihre Stärke erzählen, sie unsere Unterstützung spüren lassen und ihre Erfahrung jedes Mal bekannter machen!

Marion Hiptmair
war von 2009 – 2011 die erste österreichische Schutzbegleiterin des Versöhnungsbundes in Kolumbien