100 Jahre Versöhnungsbund in Österreich

Was war ich dem Versöhnungsbund, was war der Versöhnungsbund mir?

100 Jahre Versöhnungsbund – ein gutes Zehntel dieser Zeit hat er intensiv mein Leben bestimmt, denn in dieser Zeit habe ich sowohl im österreichischen Zweig als Vorsitzende als auch in IFOR als europäische Vertreterin mitgearbeitet. Mein Tun galt einerseits der Gestaltung des Fellowships – unvergesslich, wie die Internationalität bei den Treffen in Tokio, Costa Rica, Kongo erlebbar wurde!!! – und andererseits Praktischem: der Erziehung zur Friedensfähigkeit in Lehrgängen und Workshops. Sie ist mein großes Anliegen, denn damit setzt man beim einzelnen Menschen an, wirkt also von der Basis in die Breite der Gesellschaft und leistet damit eine sehr nachhaltige Form von Friedensarbeit!

Beim Treffen europäischer IFOR Zweige in der Schweiz 2010


Friedensfähigkeit im Sinne der Gewaltfreiheit:

Der Versöhnungsbund verwaltet einen großartigen Schatz: das ist das Prinzip der Gewaltfreiheit! Gewaltfreiheit ist eine Haltung und sie stellt aktiv einsetzbare Methoden zur Lösung von Konflikten zur Verfügung, die ein friedliches Miteinander ermöglichen. Ich erinnere mich noch an mein beglücktes Staunen, als sich mir die Logik der Gewaltfreiheit erschloss, als ich verstand, dass aktive Gewaltfreiheit tatsächlich wirkt, und wie sie wirkt. (Davor hatte ich den Begriff wohl gekannt, da Ereignisse wie Fall der Mauer oder Martin Luther Kings Wirken etc.  ja in meine Lebenszeit fielen, aber ohne dieses tiefe Verstehen).


Aktive Gewaltfreiheit hat sensationelle politische Veränderungen bewirkt. Sie hat mir auch das friedliche Zusammenleben im  alltäglichen Leben erleichtert durch die folgenden Grundsätze:

  • Gandhis : Ich muss die Veränderung sein, die ich in der Welt verwirklichen möchte. Wunderbar! Diese Erkenntnis holt einen aus der Rolle des ohn-mächtigen Opfers und er-mächtigt zum Tun. Ein ganz einfaches Beispiel aus dem Alltag: Was tun bei trübem Gemüt an einem trüben Tag? Menschen, denen man begegnet anlächeln!!!
  • Zu einem Konflikt tragen immer  al l e  Beteiligten bei. Diese Erkenntnis fordert mich dazu auf, meinen Anteil zu suchen und zu analysieren, wobei sich dafür Hildegards auf der Spitze stehendes Unrechtsdreieck anbietet, wo schon das Kappen meiner eigenen Stütze, das Unrecht verändert.
  • Gewaltfreie Konfliktlösung ermöglicht eine wirkliche Versöhnung, weil Leid und Herabwürdigung vermieden werden.  Eine hilfreiche Methode ist die Nicht-verletzende Ärgermitteilung! Schon die Überlegung, wie man es sagen wird, wirkt Wunder.
  • Es gilt in einem Konflikt, einander Respekt entgegenzubringen. Nicht der andere Mensch soll bekämpft werden, sondern das Unrecht, das zwischen uns steht, soll geklärt werden.
  • Ich kann vom anderen nicht einfordern, dass er sich ändert, ich kann aber versuchen mich selber zu ändern, also z.B. meinen Ärger über sein Verhalten aufzulösen und sachlich werden.
  • Ich kann auch vom anderen nicht verlangen, dass er den 1. Schritt tut zur Versöhnung. Den kann nur der tun, der sie sich wirklich wünscht. Das muss ich zuerst mit mir klären.
  • Das Anders-Sein anderer – ihr Verhalten, ihre Werthaltung, ihre Form der Lebensgestaltung,  ihre Meinung –  können auch als Bereicherung gesehen werden, die zu neuen Erkenntnissen führen kann.
  • Wenn man nicht aus der Kränkung heraus dem anderen ‚eins Auswischen‘ will, sondern eine Versöhnung anstrebt, dann gilt, nicht gleich im Zorn zu agieren, sondern die Klärung zu einem späteren ruhigen, entspannten Zeitpunkt anzusetzen, wo man vielleicht sachlicher reden kann.
  • Wir sind alle Menschen  e i n e r  Schöpfung und in jedem von uns ist der göttliche Funke. Die Klimaprobleme bezeugen gerade die Einheit der Welt und damit auch die Einheit aller Menschen.


Schöne Überlegungen, aber in der Praxis nicht durchführbar, oder doch???

 ‚Oder doch‘  i s t  eine Möglichkeit! Immer wieder habe ich mich um ihre Anwendung bemüht und damit einiges verinnerlicht. So wie beim Erlernen einer neuen Sprache: die Wörter verselbständigen sich mit der Zeit, dann brauche ich nicht vor jedem Satz die grammatischen Regeln strapazieren.

Wie wichtig, diese wunderbare Sprache der aktiven Gewaltfreiheit zu erlernen!

Marion Schreiber

… war Vorsitzende des Int. Versöhnungsbundes 2005 bis 2015
Sie engagierte sich sehr in der Arbeit und den Treffen des Internationalen Versöhnungsbundes (IFOR)

und für das Austauschwochenende.


Wir danken Marion für diesen sehr persönlichen und Mut machenden Text, den sie uns dankenswerter Weise für den Blog zur Verfügung gestellt hat!