Bericht eines erfahrenen Reiseleiters
Beitrag von Andreas Paul, Mitglied des Versöhnungsbundes und von Pax Christi
Johannes Zang hat im November 2018 seine 55. Gruppe durch das Hl. Land geführt. An die zehn Jahre hat er in Israel und Palästina gelebt und ist dort vielen Menschen begegnet. Dieses Wissen floss ein in sein neuestes Buch, das im Echter Verlag erschienen ist. Ein spezieller Reiseführer, in dem er Geschichten aus dem Leben und Alltag der Menschen erzählt.
Diese vielfach erschreckenden Fakten konnten die Zuhörer*innen Anfang März 2019 sowohl im Stift Melk als auch im Dominikanerhaus Steyr erfahren.
Eine Wurzel für den schon viel zu lange dauernden Konflikt kann man in der massiven jüdischen Einwanderungswelle Ende des 19. Jhdt. sehen. Zu über 450.000 Araber*innen kamen allein 1882 15.000 jüdische Einwanderer*innen hinzu. Der palästinensische Landbesitz war 1945 noch bei weit über 75% des Landes. So wurde der UNO Teilungsplan von 1947, der den Juden und Jüdinnen unproportional viel Land zugesprochen hat, als ungerecht abgelehnt. Der auf die israelische Unabhängigkeitserklärung folgende Krieg führte zu einer Entvölkerung hunderter arabischer Dörfer im Staat Israel.
Nach fünf Kriegen und weiteren Militäroperationen gibt es heute in Israel ca. 2% Christ*innen und in Palästina ca. 1%. In Jerusalem sind es gerade mal 3.000, zuzüglich ca. 8.000 „Berufschrist*innen“. In Israel sind es zwar noch mehrheitlich Palästinenser*innen, aber z.B. in Tel Aviv inzwischen hauptsächlich Gastarbeiter*innen und Migrant*innen. Dem gegenüber ist die Zahl der Christ*innen in Jordanien mit 5% fast schon hoch.
Die Christ*innen verteilen sich auf über 50 unterschiedliche Konfessionen mit verschiedenen Schriften und Kulturen und sogar unterschiedlichen Festkalendern. Alle leben sie eine reichhaltige Kultur und Tradition, die man besonders an den hohen Festtagen erleben kann.
Das Alltagsleben wird durch die israelische Besatzung sehr erschwert. Ein Beispiel sind die unzähligen Straßenblockaden, die manchmal nur ein Erdhaufen sein können und dennoch den Reiseweg an Zeit und Kilometern vervielfachen.
Eine geplante Stadtentwicklung ist für die Palästinenser*innen in den besetzten Gebieten unmöglich. Seit 1967 wurden fast 50.000 Häuser aus verschiedensten Gründen zerstört, seit 2004 haben 2.828 Personen in 809 zerstörten Häusern ihren Wohnraum verloren.
Jede/r Tote ist eine/r zuviel! Seit der ersten Intifada 1987 waren es in Israel 1.676 und in Palästina 11.052, was einem Verhältnis von 1:7 entspricht!
Hinter dem, was so offensichtlich ist, findet man noch viele „unsichtbare“ Probleme, die durch die Besatzung bewirkt werden.
Seit 1967 wurde 14.360 Personen das Aufenthaltsrecht in Jerusalem aberkannt.
Die Bewegungsfreiheit selbst innerhalb der besetzen Gebiete, und erst recht nach Israel, ist sehr eingeschränkt und nur mittels Passierscheinen möglich. Diese werden oft sehr spät und nur für einen sehr knappen Zeitraum ausgestellt. Das behindert unter anderem Wege zu Arbeit, Krankenhaus und Bildung.
Im Februar 2019 gab es über 5.000 Personen, die ohne Gerichtsverfahren in israelischen Gefängnissen eingesperrt waren. Sicherheitsverwahrung und Administrativhaft sind gängige Begründungen.
Die christliche Menschenrechtsorganisationen St. Ives unterstützt in verschiedenen rechtlichen Angelegenheiten. Zwei wichtige Probleme, die für „normale“ Tourist*innen nie sichtbar werden, sind Familienzusammenführungen und die Registrierung von Kindern. Seit der Annexion von Ost-Jerusalem 1967 erschwert die israelische Administration die für das Aufenthaltsrecht dringend nötige Registrierung von Kindern. Während Juden und Jüdinnen aus aller Welt aktiv unterstützt werden nach Israel einzuwandern bzw. ihre Kinder oder andere Familienmitglieder nachzuholen, gibt es in Jerusalem alleine 10.000 nicht registrierte palästinensische Kinder und ein Drittel der Anträge auf Familienzusammenführung wurde zwischen 2000 und 2013 abgelehnt. Es dauerte mehrere Jahrzehnte juristischer Interventionen um alleine sechs Kinder zu registrieren. Weiters stellt die Administration der Stadt Jerusalem nur 10% des Budgets für Ost-Jerusalem zur Verfügung, obwohl dessen Bewohner*innen 37% der Bevölkerung ausmachen.
Leider nimmt auch die Zahl der gewaltsamen Übergriffe extremistischer, meist religiöser jüdischer Gruppen zu. So fiel 2015 die Vorhalle der Brotvermehrungskirche in Tabgha einem Brandanschlag zum Opfer.
Zusammenfassend können acht „Wunden“ der palästinensischen Christ*innen benannt werden, von denen vier hier aufgezählt seien:
- Die mit „Nakba“ (=Katastrophe) bezeichnete Vertreibung im Krieg 1948/49
- die israelische Besatzung
- Übergriffe von Muslim*innen oder Drus*innen
- Spannungen mit der eigenen Kirchenleitung
Sehr hohe Qualifikation durch gute Schulbildung, Fremdsprachenkenntnisse und zahlreiche Kontakte ins Ausland (die Zahl der im Ausland lebenden Palästinenser*innen ist höher als die der im Land lebenden) führen zu einer extremen Zunahme der Auswanderung.
Es gibt wichtige christliche Stimmen, die auf diese Situation aufmerksam machen. So meinte der ehemalige Patriarch Michel Sabbah einmal: „Sicherheit für die Israelis wird es erst geben, wenn die Palästinenser frei und unabhängig sind.“
In einem offenen Brief von dreizehn Kirchen an Präsident Trump drückten deren Leitungen ihre große Sorge bezüglich einer Verlegung der US Botschaft nach Jerusalem aus: „Unser Rat und Bitte an die Vereinigten Staaten ist, weiterhin den derzeitigen internationalen Status von Jerusalem anzuerkennen. Jede plötzliche Veränderung würde irreparablen Schaden verursachen.“
Die nationale Koalition christlicher Organisationen schreibt im Juni 2017 in einem offenen Brief:
„Während wir uns diesen Monat in Bethlehem im besetzten Palästina treffen, leiden wir immer noch unter 100 Jahren Ungerechtigkeit und Unterdrückung, die dem palästinensischen Volk zugefügt wurden, beginnend mit der ungerechten und ungesetzlichen Balfour-Erklärung, die durch die Nakba und den Flüchtlingsstrom verstärkt wurde, die israelische Besetzung der Westbank, einschließlich Ost-Jerusalems und Gazas, und die Zersplitterung unseres Volkes und unseres Landes durch Isolations- und Beschlagnahmepolitik sowie den Bau von jüdischen Siedlungen und der Apartheidmauer….
Die Dinge sind mehr als dringend. Wir stehen kurz vor einem katastrophalen Zusammenbruch. Der derzeitige Status quo ist nicht haltbar. Dies könnte unsere letzte Chance sein, einen gerechten Frieden zu erreichen. Als palästinensische, christliche Gemeinschaft könnte dies unsere letzte Gelegenheit sein, um die christliche Präsenz in diesem Land zu retten. Unsere einzige Hoffnung als Christen kommt von der Tatsache, dass es in Jerusalem, der Stadt Gottes, und in unserer Stadt ein leeres Grab gibt, und Jesus Christus, der über Tod und Sünde siegte, und uns und der gesamten Menschheit neues Leben gebracht hat.“
Auf Grund der Androhung des israelischen Staates, die Steuergesetzgebung massiv zu verändern, wodurch die christlichen Gemeinschaften ihrer finanziellen Basis beraubt würden, schlossen die verantwortlichen Kirchenleitungen im Februar 2018 die Grabeskirche für mehrere Tage.
Erfreulicherweise gibt es jährlich internationale Bischofstreffen als Zeichen der Solidarität mit den Christ*innen im Hl. Land. Sie fordern: „…das Prinzip der Gleichheit aller Bürger, auf dem Israel gegründet sei, müsse dringend zur allgemeinen Lebensrealität werden.“
Derzeit erhalten die 47 christlichen Schulen in Israel nur die Hälfte der ihnen rechtlich zustehenden Regierungsgelder.
Der koptische Erzbischof von Jerusalem, Anba Antonius, äußerte in einem Interview die Meinung: „Ich meine, dass Israel in den besetzten Gebieten systematisch den Arabern ihre Rechte auf ihr Land entzieht.“
So haben wir heute in Israel und Palästina zusammen nur noch 160.000 bis 170.000 Christ*innen. Wer sich fragt, woher diese Informationen kommen, der wird bei zahlreichen jüdischen und arabischen Menschenrechtsorganisationen in Israel und Palästina fündig: B’tselem, OCHA (UN Organisation), ICAHD, Ma’an News Agency, HAMOKED, Society of St. Ives, SABEEL, …
Angesichts dieser klaren Fakten braucht es keine pauschal bewertenden Verurteilungen Israels, die niemandem helfen, sondern höchstens die Emotionen anheizen. Es braucht die Bereitschaft diese Fakten zu benennen, in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und von unseren Regierungen ein Eintreten für eine Lösung zu fordern, die allen im Land lebenden Menschen gerecht wird und ihre Lebensmöglichkeiten schützt! Die Sorgen und Ängste aller Menschen müssen gehört und geachtet, dürfen aber nicht politisch instrumentalisiert überhöht werden.
Besonders jüdische Organisationen brauchen in diesem Ringen um einen gerechten Frieden Gehör und Unterstützung, da sie zunehmender Anfeindung von jüdischer Seite sowohl in Israel als auch im Ausland ausgesetzt sind.
Der anerkannte Journalist Andreas Zumach sagt im Zusammenhang mit der heurigen Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden“:
„Präzise Kritik an der völkerrechts- und menschenrechtswidrigen Besatzungspolitik der israelischen Regierung ist nicht nur erlaubt und legitim, sondern sogar dringend notwendig. Gerade auch wegen unserer besonderen Verantwortung als Deutsche für eine sichere und auf Dauer unbedrohte Existenz des Staates Israel. Denn diese kann und wird es erst geben, wenn auch das völkerrechtlich verbriefte Recht der Palästinenser auf staatliche Selbstbestimmung umgesetzt ist, und wenn auch für die Palästinenser die universell gültigen Menschenrechte Realität werden.“
Hilfreich ist auch die Bereitschaft, in solidarischen Pilgergruppen das Land so zu bereisen, dass Begegnungen mit den Menschen in das Programm eingebaut werden.. Dafür bietet Johannes Zang reiche Möglichkeiten (www.jerusalam.info).
Wir danken ihm für seine klaren Worte, mit denen er ohne Emotionen zu schüren unsere Betroffenheit in aktives Engagement für die Menschen – im besonderen die Christ*innen – im Heiligen Land wandeln möchte.