BESUCH IM DORF KISAN

Andreas ist seit Anfang April 2024 als ‚Ecumenical Accompanier‘ im Rahmen des Ökumenischen Begleitprogramms des Weltkirchenrates in Palästina und Israel (EAPPI) in Bethlehem in einem dreimonatigen Einsatz.

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Blick in die Wüste, Andreas G93

Einer unserer ersten Besuche führt uns am 15. April nach Kisan, ein Dorf im Süden von Bethlehem im Gebiet C, das gemäß dem Oslo-Abkommen vom israelischen Militär verwaltet wird. Das Dorf selbst liegt im Gebiet B (palästinensische Selbstverwaltung unter militärischer Kontrolle Israels) am Rande von Judäischem Bergland und dem Beginn der Wüste. Neben dem Dorf befindet sich die Siedlung Ibei Hanahal und etwas südlich davon Ma’ale Amos. Beide Siedlungen sind auch gemäß israelischem Recht illegal, wurden aber nicht geräumt, sondern wachsen seit dem 7.10.2023.

Wir treffen eine Sozialarbeiterin, die uns über die Situation im Dorf informiert. Allgemein hat sich die Sicherheitslage verschlechtert und die Bedrängnis durch Siedleraktivitäten massiv vermehrt.

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Dorf Kisan, Foto von Andreas G93

Neben der Bibliothek der Gemeinde soll eine neue Tagesklinik gebaut werden. In der Bibliothek haben Kinder ein Bild gemalt, wie Kisan aussehen könnte, wenn es kein „Settlement“ mehr gäbe.

Die Hauptstraße wird derzeit von jüdischen Siedler:innen und Menschen aus dem Dorf benutzt, so dass es oft zu Konflikten auf der Straße durch Schikanen der Siedler:innen kommt. Kürzlich wurde ein 12-jähriger Junge auf seinem Fahrrad bei einem Autounfall mit einem Siedler verletzt.

Die Dorfbewohner:innen berichten von Wasserproblemen, weil die Wasserleitung von den Siedler:innen willkürlich abgedreht wird.

Hirtinnen und Hirten werden oft von Siedler:innen angegriffen, sogar mit Gewehren. Ein Palästinenser, der seinem Bruder in einer solchen Situation helfen wollte, wurde verhaftet und sitzt seit fünf Monaten im Gefängnis.

Beduinengemeinschaften weit draußen in der Wüste können seit dem 7. Oktober 2023 nicht mehr mit dem Auto erreicht werden. Deshalb sind Frauen aus dem Dorf regelmäßig 4 Kilometer gelaufen, um ihnen Essen zu bringen.

Kürzlich wurde eine israelische Flagge auf einem privaten palästinensischen Grundstück in der Nähe der Siedlung gehisst. Damit wird Land für weitere Außenposten in Beschlag genommen.

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Hügel mit Fahne, Foto von Andreas G93

Eine starke und kluge Frau!

Beim zweiten Besuch am 22. April im Dorf Kisan treffen wir wieder dieselbe sehr engagierte und kluge Frau; die erste Frau, die in den Dorfrat gewählt wurde. Sie führt uns durch das Dorf und ein Stück weit hinaus, um uns die Umgebung zu zeigen. Die Hauptstraße trennt Dorf und Siedlung und wird von allen benutzt. Das Stück Land zwischen Hauptstraße und Dorfstraße darf nicht betreten werden und für die Gebäude darauf, inklusive der Moschee, wurde von der israelischen Behörde ein Abbruchbefehl ausgestellt, weil sie ohne israelische Baugenehmigung errichtet wurden.

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Moschee im Dorf Kisan, Foto von Andreas G93

Auf der einen Seite, Richtung Wüste im Osten ist ein Berg, auf dem sich Müll türmt, zu sehen und daneben eine Steinaufbereitungsanlage. Die Müllhalde wuchs in den letzten sechs Jahren zu einem großen Hügel heran und wird immer wieder mit Schotter bedeckt. Dort landet der ganze Müll der Siedlungen im Raum Hebron. Der Müll der palästinensischen Dörfer bleibt normaler Weise im Dorf. Die Dorfbewohner:innen klagen über Risse in ihren Häusern auf Grund von Sprengungen in einem angrenzenden Steinbruch in dem Gebiet. Große Schwärme dunkler Vögel kreisen über dem Müll und fliegen auch über das Dorf. Die Bewohner:innen beschweren sich auch über verunreinigtes Wasser in ihren Tränken für Ziegen und Schafe sowie über schlechte Luft, die sie für Erkrankungen verantwortlich machen.

Müllhalde
Müllhalde, Foto von Andreas G93

Auf der anderen Seite im Westen sind vier Wohncontainer auf dem Hügelrücken verteilt zu sehen, wo wohl die nächste Erweiterung der Siedlung Ibei Hanahal entsteht. Eine israelische Flagge besetzt einen weiteren Hügel davor.

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Neuer Outpost mit Wohncontainern, Foto von Andreas G93

In Kisan sind vor allem Frauen als Hirtinnen unterwegs, die oft mutiger als die Männer mit den Schafen voran gehen und sich dem Risiko der Bedrohung durch Siedler:innen aussetzen.

Unsere Begleiterin stammt aus dem Aida Camp in Bethlehem, das sie als freier erlebt hat als dieses Dorf, welches durch eine stärker konservative Kultur geprägt ist. Als sie durch Heirat hierher kam, hatte keine der Frauen ein Telefon oder ging studieren. In nur drei Jahren hat sie verschiedene Frauenkommitees aufgebaut und bewirkt, dass die Frauen Smartphones bekommen und 12 junge Frauen in Bethlehem auf der Universität studieren können. Der Dorfrat wird von den Großfamilien bestückt wobei der Chef des Rates im Turnus zwischen den Familien wechselt. Sie ist als einzige Frau in diesen Rat entsandt. Sie erlebt ihre Freiwilligenarbeit für die Dorfbewohner:innen als große Aufgabe. Sie hofft darauf, einmal auch für diese Arbeit bezahlt werden zu können. Früher konnte sie sich vorstellen neben der jüdischen Bevölkerung in Frieden zu leben, wenn das Land und die Ressourcen gerecht geteilt werden. Seit der massiven Siedleraktivität nach dem 7.10.23 hat sie bezüglich Zukunft keine Hoffnung mehr.

In ihrem Haus bewirtet sie uns sehr gastfreundlich und erzählt mit strahlenden Augen und großem Engagement, obwohl die Zukunft dieses Dorfes, realistisch gesehen, wenig rosig ist!

Bitte beachten:

Ich bin als Ecumenical Accompanier von der Diakonie ACT Austria, dem Internationalen Versöhnungsbund und Pax Christi Österreich zum Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI) des Weltkirchenrates entsandt. Die hier geteilten Ansichten sind meine persönlichen und spiegeln nicht unbedingt jene meiner Sendeorganisation oder des Weltkirchenrates wider. Möchten Sie die hier enthaltenen Informationen weiter veröffentlichen (inklusive der Veröffentlichung auf einer Website) kontaktieren Sie bitte zuerst eappi@diakonie.at zur Genehmigung. Danke