2. Bericht von Michaela Söllinger aus Kolumbien
Schritt für Schritt wird die Arbeit konkreter. In den letzten Wochen hatten meine Arbeitskolleg*innen von FOR Peace Presence – Tom, Maria Eugenia, die wir Maru nennen, Enrique und ich – mehrere Treffen mit diplomatischen Stellen und kolumbianischen Ministerien. Dabei haben wir versucht, die Forderung nach Sicherheit für die Graswurzelprozesse, die wir langfristig begleiten, in den Mittelpunkt zu stellen.
Dies sind u.a. Friedensnetzwerke wie Conpazcol – Kolumbianische Gemeinden, die von den Territorien aus Frieden aufbauen. Sie versuchen, aus verschiedenen armen ländlichen und städtischen Gebieten, die besonders unter der anhaltenden Gewalt in Kolumbien leiden, Vorschläge und vorgelebte Beispiele für ein friedliches Miteinander in die Gesellschaft einzubringen. Einige Graswurzelprozesse wollen wir längerfristig individuell begleiten.
Einer dieser Graswurzelprozesse ist La Esperanza – Die Hoffnung, gelegen an der Pazifikküste. Die afrokolumbianische Gemeinschaft von ca. 53 Familien lebt zurzeit als Vertriebene in der Hafenstadt Buenaventura. Sie gehört zu den mehr als 7 Millionen Binnenflüchtlingen Kolumbiens. Buenaventura liegt nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt, den sie als ihre Heimat ansehen. Diese Heimat heißt La Esperanza – Die Hoffnung.
Verlässt man die quirlige, tropisch heiße Hafenstadt entlang einer brandneuen Straße, die hauptsächlich den Lastwägen dient, die Exportwaren zum Hafen bringen, tut sich nach einigen Armenvierteln eine üppige, tropische Vegetation auf. Diese steht eigentlich unter dem Schutz der UNESCO. Bald stößt man auf einer Seite der Straße auf eine kleine Weg mit Schildern: „Zona de Biodiversidad La Esperanza“ – Biodiverse Zone Die Hoffnung.
Diesen Weg überhaupt zu betreten wagen die ehemaligen Bewohner*innen des Gebietes nur mit internationalen Begleitorganisationen, da sie ständig bedroht werden und zumindest einer der Sprecher der Gruppe bereits angeschossen wurde.
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Vor einem Jahre begleitete ich mit meiner Versöhnungsbund-Kollegin Irmgard Ehrenberger ehemalige Bewohner*innen bei einem Besuch in ihrer Heimat.
Wir fuhren damals den Weg in den Wald weiter hinein und es fiel uns auf, dass entlang des Weges neue Häuser gebaut wurden. Maria (Name geändert), eine der ehemaligen Bewohner*innen, erzählte beim Vorbeifahren, dass diese Häuser von neuen Siedler*innen gebaut werden, die dieses Land mit Hilfe illegaler bewaffneter Gruppen besetzen. Ein Stück weiter entlang des Weges deutete Maria in die Ferne, in den blauen Horizont, und erklärte, dass dort einst große Bäume standen, die von der ursprünglichen Gemeinschaft vor über 40 Jahren anpflanzt worden waren und die hunderte Jahre alt werden sollten. Sie wurden abgeholzt und verkauft, der Boden erodiert.
Vor mehr als 40 Jahren verließ die internationale Papier- und Kartonfirma Smurfit-Kappa den tropischen Wald von La Esperanza, nachdem fast der gesamte Wald gerodet worden war. Bis zum Jahr 2003 versuchten die damaligen Bewohner*innen, den Wald wieder in seiner ursprünglichen Zusammensetzung aufzuforsten. Der Regenwald als Lebensraum ist für sie ein Teil ihrer Identität als afrokolumbianische Gemeinde der Pazifikküste.
Dieses Bemühen um den Schutz dieses Lebensraumes steht im großen Gegensatz zu den neoliberalen Interessen einer ökonomischen Elite Kolumbiens. Illegale bewaffnete Gruppen dienen oft als „schmutzige Hand“, um die Interessen dieser Eliten durchzusetzen. 2003 wurden die Familien von La Esperanza von paramilitärischen Gruppen vertrieben, die in das Gebiet eindrangen, um eine Guerillagruppe zu bekämpfen. Mit paramilitärischen Gruppen sind hier illegale bewaffnete Gruppen gemeint, die Verbindungen zum staatlichen Militär sowie zu gewissen Politiker- und Unternehmerkreisen haben.
Ein Stück weiter entlang des Weges, mitten in La Esperanza, hielten wir vor einem kleinen Häuschen. Jahre nach den Ereignissen von 2003 versuchten die Vertriebenen nach und nach zurückzukommen. In dieser Zeit wurde das Haus als Gemeinschaftshaus aufgebaut, kann aber aufgrund der erneuten vollständigen Vertreibung 2010 nicht genutzt werden. Mario und Andres, ehemalige Bewohner*innen, zeigten uns die Reste ihrer Häuser, die gleich neben dem Gemeinschaftshaus stehen. Sie wagten sich jedoch nicht hinein.
Vor dem Gemeinschaftshaus zeigte die Gemeinde eine grafische Chronologie der Geschehnisse. Sie wiesen vehement auf einen konkreten Faktor hin, der dazu beiträgt, dass sie von ihrem Land vertrieben sind und ihr Lebensraum weiterhin ausgebeutet und zerstört wird: Neben den bewaffneten Gruppen agiert ein „paralleler“ Gemeinderat, eine Personengruppe, die nicht zu den traditionellen Bewohner*innen des kollektiven Landes gehört, die jedoch Abholzungsprozesse genehmigt und nicht kollektives Land, das per Gesetz unveräußerlich ist, rechtswidrig verkauft. Diese Form von Korruption ist ein Beispiel dafür, wie in Kolumbien rechtlich verankerte kollektive ethnische Entscheidungsmechanismen über wirtschaftliche Projekte, die den Lebensraum einer Gemeinschaft betreffen, ausgehebelt werden.
Ein Jahr nach diesem Besuch ist es nun soweit. Ein ganzes Jahr lang begleiteten Maru und Enrique die ehemaligen Bewohner*innen von La Esperanza bei ihrem Versuch, faire, nicht-korrumpierte Neuwahlen eines legitimen ethnischen Gemeinderates zu erreichen. Jetzt sollen diese Wahlen noch im Dezember stattfinden. Viele örtliche, vor allem afrokolumbianische Graswurzelprozesse solidarisieren sich mit den Familien von La Esperanza. Der Druck auf den „parallelen“ Gemeinderat ist sehr groß geworden. Auch die kolumbianische Staatsanwaltschaft hat sich nach Jahren wegen der Korruptionsvorwürfe und zum Schutz der Rechte der ehemaligen Bewohner*innen eingeschaltet.
La Esperanza – Die Hoffnung auf einen Schritt in Richtung Rückkehr ist groß.
Dezember 2020
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