Gemeinden im Zustand der Besetzung

Gemeinden im Zustand der Besetzung

Von 29. August bis 3. September begleitete unsere Friedensfachkraft Michaela Söllinger gemeinsam mit unserer Partnerorganisation FOR Peace Presence  eine humanitäre Mission des SIZOCC-Netzwerks im Westen von Antioquia in den Bezirken Dabeiba und Frontino. FOR Peace Presence begleitet in dieser Region seit 2019.

SIZOCC (Interreligiöse Solidarität in Zonen des Konfliktes in Kolumbien) ist ein Zusammenschluss von verschiedenen Kirchen und Gläubigen. Ziel des Netzwerks ist es, Gemeinden, die unter dem Konflikt in Kolumbien leiden, zu begleiten. Die Begleitung besteht vor allem darin, die extrem schwierige Situation der Gemeinden sichtbar zu machen und Fürsprache auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene zu leisten.

Sprecher*innen der Humanitaeren Mission von SIZOCC (Solidaridad Interreligiosa en Zonas de Conflicto de Colombia). v.l.n.r.: Luis Fernando Caisamo Iságama, consejero de derechos humanos y paz de la Organización Indígena de Antioquia (OIA); Padre Neid Marin Pastoral Social de la Arquidiocesis de Santa Fe de Antioquia; Hermana Luz Enith Quintero, Misionera de la Madre Laura; Monseñor Juan Carlos Barreto, obispo de la Diocesis de Quibdo; Obispo Vicepresidente de la Iglesia Luterana de Colombia John Rojas; Monseñor Hugo Torres, obispo de la diocesis Apartadó; Obispo Presidente de la Iglesia Luterana de Colombia Atahualpa Hernandez.

Bereits im Juli veröffentlichte SIZOCC einen Aufruf,  in dem auf die verheerende Situation der Gemeinden im Westen Antioquias aufmerksam gemacht wurde. Betroffen sind vor allem jene Gebiete, in denen die Schwestern Madre Laura tätig sind. SIZOCC forderte die Regierung Kolumbiens und die bewaffneten Gruppen auf, im Sinne des internationalen Humanitären Völkerrechts und der Nächstenliebe die Bevölkerung der Region und ihr Territorium zu respektieren.

Michaela Söllinger, Friedensfachkraft Versöhnunsbund Österreich, FORPeacePresence, Horizont 3000, unterwegs zu den indigenen Gemeinden im Westen Antioquias, eine der biodiversesten Regionen weltweit. Bis jetzt konnten die indigenen Bewohner*innen ihre Umwelt schützen.

Dem Aufruf folgte die Humanitäre Mission in die betroffenen ländlichen Gebiete. An der Mission nahmen sowohl die römisch-katholische  Kirche (die Erzdiözesen Medellín und Santa Fé de Antioquia, die Diözesen Istmina-Tado, Apartadó mit Bischof Hugo Torres und Quibdo mit Bischof Juan Carlos Barreto, verschiedene Ordensvertreter*innen), die Lutherische Kirche Kolumbiens (Bischof John Rojas und Bischof Atahualpa Hernandez) und die Presbyterianische Kirche teil, als auch verschiedene soziale Organisationen und internationale Beobachter*innen. 

Michaela Söllinger bei der offiziellen Begrüßung in einer der indigenen Gemeinden.

Das, was die Teilnehmer*innen der Mission sahen und hörten, bezeugt, dass sich die Situation in den betroffenen Gemeinden stetig verschlimmert. Die Gemeinden sind mehrheitlich indigen, aber auch afro-kolumbianische und kleinbäuerliche Dörfer sind von der Gewalt betroffen. Bewaffnete Gruppen und das Fehlen staatlicher Institutionen jenseits des Militärs als schützende und unterstützende Akteure für die Bevölkerung setzen die Bewohner*innen der Region einer massiven Bewegungseinschränkung – einem Zustand der Besetzung – aus, der oft mit Hunger einhergeht. Weitere gravierende Sicherheitsrisiken und Unterdrückungsmechanismen sind Landminen, die Rekrutierung von Minderjährigen und Jugendlichen, Bedrohungen und Ermordungen von lokalen Führungspersönlichkeiten, selektive Tötungen, Vertreibungen und eine massive Einschränkung der Autonomie der Gemeinden. Dies alles im Territorium eines Volkes, das kulturell und physisch vom Aussterben bedroht ist und seit Monaten um Hilfe ruft!

Mit dem Chiva fuhr die Mission von Frontino nach Blaquita Murri.

Warum die Gewalt?

2016 schloss die Regierung mit der größten Guerillagruppe FARC einen Friedensvertrag. Dementsprechend zogen sich die FARC aus dem Westen Antioquias (wie auch aus allen anderen von ihnen kontrollierten Gebieten) zurück. Das führte leider nicht zu einer Beruhigung, sondern zu einer Verlagerung des Konflikts, vor allem durch die Vernachlässigung des Staates, der es verabsäumte, die Grundechte der interethnischen ländlichen Bevölkerung der Region zu garantieren.

Stattdessen sahen andere illegale Gruppen wie die neoparamilitärischen AGC (auch Clan de Golfo genannt) sowie die Guerillagruppe ELN ihre Chance bekommen, die Kontrolle über das Territorium zu übernehmen. Seit Anfang 2019 verschlimmert sich die Situation dramatisch.

Das Territorium, das mehrheitlich aus Reservaten der Indigenen Embera Eyabida besteht, ist geostrategisch nicht nur ein Korridor für illegale Produkte, es ist auch übersäht mit Bergbaulizenzen. Das heißt, dass auch nationale und internationale Unternehmen zur Gewalt gegen die Bevölkerung beitragen. Ihr Interesse besteht vor allem an Kupfer und Gold. Die Regierung mit ihrer extraktivistischen Agenda unterstützt diese Unternehmen auf Kosten der lokalen Bevölkerung: Derzeit wird die Schnellstraße „Route zum Meer 2“ gebaut, die das Territorium direkt mit den in Bau befindlichen Containerhäfen im Golf von Urabá verbindet.