Am 19.11. lud die Organisation Shabka in den Festsaal der Diplomatischen Akademie ein, über die Sinnhaftigkeit der Neutralität heutzutage zu diskutieren, und zwar aus österreichischer und Schweizer Sicht.
Im Eingangsreferat ging Bundeskanzler a. D. Franz Vranitzky auf die Frage ein, wie viel Neutralität sich die beiden Staaten noch leisten können, etwa auch im Unterschied zur NATO-Position Deutschlands.
Dabei ging er auf die geschichtliche Entwicklung der österreichischen Neutralität ein, die sich am 26. Oktober 1955 explizit auf das Modell der Schweiz bezog und auch so bei der UNO notifiziert wurde. Mit den Beitrittsverhandlungen zur EU wurde Österreich bereits dargelegt, dass dieser Schritt die Möglichkeit böte, die Neutralität los zu werden (Helmut Kohl ermutigte dazu, Margaret Thatcher war es eher egal), bei einem Moskaubesuch 1988 wurde jedoch bedeutet, dass die „immerwährende“ Neutralität aufrecht zu erhalten sei. Gerade das Vorbild Schweiz zeigte, dass die Neutralität zu Souveränität, Sicherheit, Wohlstand und Zufriedenheit führen kann.
Diese Neutralität wurde jedoch in Österreich zunehmend ausgehöhlt, durch Übernahme der Petersberg-Aufgaben, durch die Partnerschaft für Frieden mit der NATO, § 23f der österr. Bundesverfassung und letztlich Zustimmung (unter der damals sozialdemokratisch geführten Regierung) zu PESCO (ständige strukturierte Zusammenarbeit), der sich jedoch die EU-Mitglieder Dänemark (als NATO-Staat), sowie Großbritannien und Malta verweigerten.
Die heutigen Problemfelder für die Neutralität stellen nach Meinung Vranitzkys die öffentliche Haushaltspolitik, die Cyberkriminalität, die Rüstungsverpflichtungen, die Militärpolitik, insb. PESCO, sowie das Festhalten am nationalen Identitätsbegriff der Neutralität dar. Erforderlich wären die breite Konsensfindung im Inland und die Diskussion, wie weit Europa ein derart weitreichendes moralisches Konzept verfolgen kann.
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion stellte Lukas Wank vom „Think&Do-Tank Shabka“ die Notwendigkeit dar, nicht unbedingt zu den Wurzeln der Neutralität zurückzukehren, sondern eher die Baumkrone zu erweitern. Eine Publikumsanregung aufgreifend bestünde eine Möglichkeit, eine alternative Rolle innerhalb der EU als Best-Practice-Beispiel für Friedenspolitik zu entwickeln und einen Pool an FriedensfacharbeiterInnen auszubilden.
Jana Röthlisberger von Swisspeace sieht die neutralen Staaten ebenfalls vor allem als Brückenbauer und als Stärkung des Interesses für das internationale Gleichgewicht. Hingegen wies Benno Zogg vom Schweizer Think Tank „Foraus“ darauf hin, dass seit 2001 auch ein kleines bewaffnetes Kontingent Schweizer Soldaten im Kosovo stationiert sei. Im Sinn der UNO als Vertretung der Weltgemeinschaft könnten durchaus auch neutrale Staaten zu friedensfördernden Einsätzen im Ausland beitragen.
Schließlich stellte Maria-Sofia Satanakis vom Österreichischen Institut für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES) fest, dass die Grenzen zwischen innerer und äußerer Neutralität fließend geworden sind. Insofern ist die Art der österreichischen Neutralität weiterhin diskussionsbedürftig.
Herbert Peherstorfer, 26.11.2018